„Keine Verpflichtung zur Übertragung der Bundesliga“

09. April 2024
Prof. Dr. Michael Schaffrath, Technische Universität München
Prof. Dr. Michael Schaffrath, Technische Universität München
Kommunikationswissenschaftler fordert Reduzierung des Fußballinvestments, um so Gebührengelder zu sparen

Interview mit Prof. Dr. Michael Schaffrath, Leiter des Arbeitsbereichs für Medien und Kommunikation Department Health and Sport Sciences, Technische Universität München

Für keinen Content hatte die ARD nach Aussage des 24. KEF-Berichts 2022 mehr investiert als für Sport. 2022 hat sich die ARD den Sport im Ersten 431,7 Mio. Euro kosten lassen und die Berichterstattung über Politik und Gesellschaft 399,4 Mio. Euro. Pro Sendeminute wurden für dieses Programm 2.943 Euro aufgewendet und für den Sport 10.014 Euro. Mehr als das Dreifache. Nach Auffassung von Prof. Dr. Michael Schaffrath, Professor für Kommunikation an der TU München, sei das weder gesellschaftspolitisch gefordert noch medienrechtlich geboten. Die Öffentlich-Rechtlichen besäßen zwar laut Medienstaatsvertrag einen sogenannten Grundversorgungsauftrag. Aber in dem würden die Begriffe ‚Sport‘ oder ‚Fußball‘ nicht einmal genannt. Da das Sportrechtebudget der Öffentlich-Rechtlichen endlich sei, müsse sorgfältig geprüft werden, ob sie Gebührengelder für Fußball oder für Sportarten ausgeben, die zwar nicht eine so große Bedeutung wie der Fußball, aber auch ihre gesellschaftliche Relevanz besäßen.

medienpolitik.net: Herr Schaffrath, ARD und ZDF übertragen viele Sportevents und wenden dafür einen gewichtigen Anteil des Beitragsaufkommens auf. Sehen Sie die Notwendigkeit, dass Profisport-Berichterstattung, zum Beispiel im Fußball, im bisherigen Umfang aus dem Rundfunkbeitrag finanziert wird?
Schaffrath: Nein, absolut nicht. Das ist weder gesellschaftspolitisch gefordert noch medienrechtlich geboten. Die Öffentlich-Rechtlichen besitzen zwar laut Medienstaatsvertrag einen sog. Grundversorgungsauftrag. Aber in dem werden die Begriffe „Sport“ oder „Fußball“ nicht einmal genannt. Trotzdem wird man nicht bestreiten können, dass „Sport“ und „Fußball“ Segmente eines von ARD und ZDF zu erfüllenden Grundversorgungs-Portfolio sein können und auch sein sollen. Aber die Kernfrage muss vor dem Hintergrund massiv gestiegener Übertragungslizenzkosten lauten: Zu welchem Preis? Und hier muss dringend zwischen Sport im Allgemeinen und Fußball im Speziellen unterschieden werden. Fußball ist die einzige Sportart hierzulande, für die es einen Markt gibt, also ein Angebot und viele Nachfrager. Und wenn ARD und ZDF nicht mehr zu den Nachfragern gehören würden, dann gäbe es dennoch genügend andere private Kanäle und kommerzielle Streaming-Dienste im Free- und Pay-Bereich, die Fußball-Rechte erwerben wollen und auch würden. Diese komfortable Marktsituation ist bei fast allen anderen Sportarten so nicht gegeben. Und da das Sportrechtebudget der Öffentlich-Rechtlichen endlich ist, muss sorgfältig geprüft werden, ob man Gebührengelder für Fußball oder für andere Sportarten ausgibt, die zwar nicht so eine große Bedeutung haben wie der Fußball, aber doch auch zweifellos ihre gesellschaftliche Relevanz besitzen. Angesichts der nahezu inflationär gestiegenen Rechtekosten, die der Fußball fordert, lautet daher mein Plädoyer: mehr Gebührengelder in den Sport, aber viel weniger als bisher in den hochgradig kommerzialisierten Fußball.

medienpolitik.net: Die ARD und ZDF erreichen mit Bundesliga, Fußball-WM und Europameisterschaften ein Millionenpublikum. Ist das aus gesellschaftspolitischer nicht eine wichtige Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
Schaffrath: Natürlich. Ein öffentlich-rechtlicher Sender ohne Publikum delegitimiert sich a la longue selbst, genauso wie ein Privatsender ohne Zuschauer Insolvenz anmelden müsste. Aber die Quote darf für ARD und ZDF eben nicht die einzige Leitwährung sein, wobei auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem der Quotendeterminismus die Programmauswahl besonders im Sport zusehends dominiert. Aber wir müssen auch hier differenzieren, weil aus medienrechtlicher Sicht den unterschiedlichen Fußball-Wettbewerben eine ganz unterschiedliche gesellschaftliche Relevanz attestiert wird. Fußball ist längst nicht mehr Fußball – medienrechtlich betrachtet. Bestimmte Spiele einer WM oder einer EURO sowie alle Partien der Nationalmannschaft sind laut Medienstaatsvertrag von so hochrangiger gesellschaftlicher Bedeutung, dass diese auf jeden Fall im frei empfangbaren Fernsehen übertragen werden müssen und nicht im Bezahl-Fernsehen verschwinden dürfen. Aber zum frei empfangbaren Fernsehen gehören nicht nur ARD und ZDF, sondern auch zum Beispiel RTL, SAT.1 oder ProSieben.

Bezüglich der Bundesliga stellt sich die Situation komplett anders dar. Es gibt überhaupt keine medienrechtliche Verpflichtung zur Übertragung der Bundesliga – weder für Öffentlich-Rechtliche noch für Private, weder im Free-TV noch im Pay-TV. Das bedeutet umgekehrt: es gibt auch kein Recht des Publikums auf irgendwelche bewegten Bilder der Liga – nicht live und auch nicht in Ausschnitten – sieht man vom Recht auf Kurzberichterstattung einmal ab. Der fußballinteressierte Teil der Gesellschaft hat sich seit 1965/66 daran gewöhnt, dass man auf irgendeinem Free-TV-Kanal die Zusammenfassungen der Liga-Spiele ohne Extrazahlung sehen kann. Doch dieses falsch verstandene „Gewohnheitsrecht“ ist mehr ein „Gewohnheitsluxus“, der aus meiner Sicht nicht länger mit öffentlich-rechtlichen Gebührengelder alimentiert werden sollte – zumindest nicht um jeden Preis.

Der hochgradig kommerzialisierte Bundesliga-Fußball war und ist für private TV-Sender in Deutschland ein ruinöses Geschäft oder metaphorisch gesprochen ein Milliardengrab! Das würde der verstorbene Leo Kirch, der wegen nicht refinanzierbarer Fußballrechte im Jahr 2002 Insolvenz anmelden musste, genauso bestätigen wie Rupert Murdoch, der aus demselben Grund 2018 seine Anteile an Sky, dem jahrzehntelangen Hauptsender der Bundesliga, verkauft hat. Und Len Blavatnik, der Inhaber von DAZN, mittlerweile zweitwichtigster Liga-Sender, wird das wohl auch irgendwann erkennen müssen. Selbst das permanente Drehen an der Abo-Preisschraube bei Sky und bei DAZN hat in den vergangenen Jahren die horrenden Verluste, die durch den Kauf von Bundesliga-Lizenzen entstehen, nicht kompensieren können. Es interessieren sich eben hierzulande nicht so viele Menschen für die Liga bzw. sind bereit, dafür kostspielige und zugleich mehrere Abonnements zu erwerben. Wenn internationale Medienmodule ihre Milliarden in einem Fußballfass ohne Boden vernichten wollen, dann ist das ihre Privatsache. Aber öffentlich-rechtliche Gebührengelder von Millionen Bürger einzusetzen, um die oft zweistelligen Millionengehälter von ein paar Hundert Fußball-Profis mit zu alimentieren, ist nicht nur ökonomisch unvernünftig, sondern gesellschaftspolitisch angesichts der unverhältnismäßigen Preisentwicklung unverantwortlich.

„Öffentlich-rechtliche Gebührengelder von Millionen Bürger einzusetzen, um die oft zweistelligen Millionengehälter von ein paar Hundert Fußball-Profis mit zu alimentieren, ist nicht nur ökonomisch unvernünftig, sondern gesellschaftspolitisch angesichts der unverhältnismäßigen Preisentwicklung unverantwortlich.“

medienpolitik.net: Würde eine Reduzierung der Fußballberichterstattung bei ARD und ZDF zu einem weiteren Absinken der Akzeptanz führen?
Schaffrath: Nein, sicher nicht! Und dafür gibt es genügend historische Analogien. Was ist passiert, als ab der Saison 1988/89 nicht mehr, wie 33 Jahre zuvor, die Sportschau, sondern mit RTL erstmalig ein Privatsender mit „Anpfiff“ die Fußball-Bundesliga-Spiele am Samstagabend zusammenfasste? Nichts! Und was hat sich getan, als dann ab der Spielzeit 1992/93 SAT.1 mit „ran“ die Bundesliga-Rechte übernahm? Ebenfalls nichts! Und selbst, als RTL ab 2014 Spiele der deutschen Nationalelf exklusiv übertragen hat, führte auch das nicht zum Untergang des Fußball-Abendlandes.

Das einzige, was viele Zuschauer zu Beginn bei den Privaten als enervierend empfanden, waren die vielen Werbeunterbrechungen. Aber irgendwie mussten bzw. müssen die inflationär gestiegenen Übertragungsrechtekosten refinanziert werden. Und dies geht bei Privatsendern eben nur über Werbung und Sponsoring. Mittlerweile haben viele Fußballfans solche Abhängigkeiten und Automatismen verstanden, akzeptiert oder sich zumindest daran gewöhnt. Hinzu kommt aber noch etwas anderes: viele TV-Zuschauer erkennen keine signifikanten Qualitätsunterschiede in der Fußballberichterstattung zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten oder bei den Privaten zwischen Pay- und Free-TV oder irgendwelchen Streaming-Diensten. Dafür ist das veritable Moderatoren- und Kommentatoren-Hopping zwischen den verschiedenen Bewegtbild-Anbietern mitverantwortlich, weil hierdurch eine gewisse Identifikation mit einem Sender oder zumindest eine gewisse Zuordnung konterkariert wird. Mittlerweile ist vielen Fußballfans komplett gleichgültig, welcher Anbieter welche Spiele überträgt, wer moderiert oder wer kommentiert. Und ARD und ZDF werden nicht an Akzeptanz verlieren, wenn sie bestimmte Fußballspiele nicht mehr im Programm haben. Der veritable Akzeptanzverlust hat diverse andere Gründe.

medienpolitik.net: Profitiert aber nicht auch der Sport von der Sportberichterstattung bei ARD und ZDF? Sowohl finanziell als auch von der Sichtbarkeit?

Schaffrath: Ja, natürlich. Viele Sportarten würden ohne die Übertragungen von ARD und ZDF komplett im fernsehmedialen Abseits stehen. Und ohne TV-Präsenz würden sich auch Sponsorengelder deutlich reduziert oder sogar komplett wegfallen. Aber die zunehmende Fußballlisierung der Sportberichterstattung hat auch bei ARD und ZDF dafür gesorgt, dass Sendezeiten für andere Sportarten in den vergangenen Jahrzehnten deutlich reduziert worden sind. ARD und ZDF berichten – je nach Statistik – pro Jahr über mehr als 50 verschiedene Sportarten. Das klingt zunächst sehr gut und bietet kein anderer Sender. Aber bei solchen Statistiken muss man immer auch die jeweiligen Sendezeiten für diese Sportarten betrachten. Und da ist so manches aufgrund der Fußballlisierung der Sportberichterstattung ziemlich aus der Balance geraten. ARD und ZDF verschaffen einer ganzen Reihe von Sportarten eine essentielle Sichtbarkeit und eine existentiell notwendige Finanzierung, die diese Sportarten von keinem anderen Sender oder Streaming-Anbieter bekämen. Trotzdem erscheint mir die Frage legitim zu sein, ob ARD und ZDF nicht noch mehr tun könnten oder gar müssten. Es muss ja nicht gleich der Komplett-Rückzug aus dem Profifußball sein. Aber zumindest eine deutliche Reduzierung von Fußballinvestments sowie Fußballsendezeiten bei ARD und ZDF würden finanzielle Möglichkeiten und programmliche Spielräume für viele andere Sportarten deutlich erweitern. Und genau das halte ich für gesellschaftspolitisch wünschenswert.

 



 

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