Von Helmut Hartung, Chefredakteur www.medienpolitik.net
Der Rundfunkrat des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) hat sich am 29. September unter anderem mit der Novellierung des RBB-Staatsvertrags befasst. Vier Wochen zuvor hatten die federführenden Staatssekretäre aus Berlin und Brandenburg, Florian Graf und Benjamin Grimm, den Entwurf vorgestellt. Kern der Novellierung sind eine bessere Kontrolle durch den Verwaltungsrat und den Rundfunkrat sowie durch die Rechnungshöfe, eine höhere Wirtschaftlichkeit, ein wirksames Compliance-System und größere Transparenz. Das von beiden Landesregierungen vorgelegte Papier greift auch Vorschläge der zwei Landesrechnungshöfe auf, die diese nach umfangreichen Prüfungen des RBB im Juni erarbeitet hatten. Darin hatten die Prüfer unter anderem selbstherrliche Entscheidungen, eine Verschwendung von Beitragsmitteln und ungerechtfertigte Gehaltsstrukturen kritisiert. In einer Pressemeldung des Rundfunkrates, wird an dieser Novelle grundsätzliche Kritik geübt: Die vorgelegten Änderungsvorschläge würden tief – und möglicherweise rechtswidrig – in die grundgesetzlichen Freiheiten des RBB eingreifen und darüber hinaus die bestehende Architektur und das Zusammenwirken der Organe völlig neugestalten, heißt es.
Künftig soll beim RBB anstelle einer Intendantin oder eines Intendanten mit den „Attributen eines absolutistischen Alleinherrschers“ ein Direktorium treten, zudem auch zwei Direktoren gehören. Dieses Kollegialorgan soll alle wesentliche Entscheidungen gemeinsam treffen. Dazu gehören auch die Aufstellung des Wirtschaftsplans, des Jahresabschlusses und der mittelfristigen Finanzplanung. Das Intendantengehalt wird gedeckelt. Bei der Besetzung von Führungspositionen sollen Bewerberinnen und Bewerber mit biografischen Bezügen zu den Ländern Berlin und Brandenburg, speziell Personen mit ostdeutscher Biografie, bevorzugt berücksichtigt werden. Ein Novum bei einem Staatsvertrag für einen öffentlich-rechtlichen Sender ist die geplante Aufwertung des Verwaltungsrates. Er soll kein Ehrenamt mehr sein, sondern ein ausgewiesenes Expertengremium, dessen Tätigkeit angemessen vergütet werde. Breiten Raum räumt der Staatsvertragsentwurf einer Veränderung des Auftrags für das Dritte Programm und die RBB-Hörfunkangebote ein. So soll es ein 60-minütiges regionales TV-Angebot für Berlin und Brandenburg geben und die Ressourcen sollen angemessen auf beide Länder verteilt werden. Die Zweiländeranstalt solle nicht länger der „Hauptstadtsender“ sein, wie es einst Patricia Schlesinger postuliert hatte. In Brandenburg an der Havel entsteht ein weiteres Regionalbüro, so der Vertragsentwurf.
Gegen diese veränderten Rahmenbedingungen sträubt sich der Rundfunkrat nun mit massiven Anschuldigungen. Zu den Kritikpunkten zählen, laut Pressemeldung, die vorgesehene Schaffung sogenannter "Landesangebote" und die sich daraus ergebenden Strukturen und Prozesse, etwa zur Wahl und Stellung des Leitungspersonals. Dies betrachtet der Rundfunkrat als verfassungswidrigen Eingriff in die Programmfreiheit und das Selbstverwaltungsrecht des RBB. „Die vorgesehene staatsvertragliche Schaffung zusätzlicher Sendestrecken – die noch dazu mit enormen Mehrkosten verbunden sind – greift in die Freiheit des RBB ein, über die Gestaltung des Programms zu entscheiden. Auch die Wahl unmittelbar programmgestaltender Mitarbeiter/innen durch den Rundfunkrat lehnt das Gremium ab“, so der RBB-Rundfunkrat in seiner Sitzung am 29. September. Weiter heißt es „Als ebenso schweren – und daher grundsätzlich abzulehnenden – Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht des RBB erachtet der RBB-Rundfunkrat die staatsvertragliche Festlegung der Anzahl sowie des Zuschnitts der Direktionen. Aus Sicht des Rundfunkrates muss der RBB eigenständig über den Ressortzuschnitt der Direktionen entscheiden können. Der vorgeschlagene Selbstbehalt für Gremienmitglieder in Höhe der doppelten jährlichen Aufwandsentschädigung würde zwangsläufig dazu führen, dass Gremienmitglieder selbst bei der Feststellung einer leichten Fahrlässigkeit mit ihrem jeweiligen Privatvermögen einstehen müssten.“
„Dass die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg ein Gesetzesvorschlag unterbreiten müssen, der nicht nur aufgrund der gesellschaftlichen und medialen Entwicklung Neuerungen, sondern Selbstverständlichkeiten wie eine „ausgewogene Verteilung der Ressourcen auf beide Länder“ vorschreiben muss, ist ein Armutszeugnis für den Rundfunkrat.“
Es gehört zu den Kernaufgaben eines Rundfunkrates, die Politikferne und Unabhängigkeit eines Senders zu schützen und die Rundfunkfreiheit zu verteidigen. Doch wie ist er dieser Aufgabe bisher nachgekommen? Das Bundesverfassungsgericht betrachtet die Rundfunkfreiheit nicht primär als Abwehrrecht. Nach seiner Auffassung hat die Rundfunkfreiheit vielmehr eine dienende Funktion im Hinblick auf die freie Meinungsbildung. Nach dem Bundesverfassungsgericht ist der Staat verpflichtet, durch Gesetze eine positive Ordnung zu schaffen, die die wesentlichen Anforderungen an die Vielfalt, das Programm, den Marktzugang, Aufsicht und Finanzierung des Rundfunks regelt. Ein solches Gesetz gestaltet die Rundfunkfreiheit aus (Vgl. BVerfGE 57, 295.). Das bedeutet, dass die beiden Landesregierungen nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht haben, durch einen Staatsvertrag zu regeln, wie der Auftrag einer öffentlich-rechtlichen Anstalt sichergestellt werden kann. Laut Rundfunkurteil von 1981 des Bundesverfassungsgerichts, ist der Gesetzgeber zur gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts der Rundfunkfreiheit verpflichtet. Diese müsse dafür Sorge tragen, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in größtmöglicher Breite und Vollständigkeit zum Ausdruck komme. Mit ihren Reformvorschlägen, versuchen die beiden Landesregierung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen, indem sie Struktur- und Organisationsfragen neu regeln und auch den Auftrag neu formulieren. Die Festlegung, dass „ausgewogener“ aus Berlin und Brandenburg berichtet werden soll, dass es ein neues Lokalbüro in Brandenburg geben und ein Regionalmagazin von einer Stunde gesendet werden soll, ist dem Zwang geschuldet, Dinge staatsvertraglich zu regeln, die die zwei Länderanstalt bisher selbst nicht ausreichend beachtet hatte, die aber von Rundfunkrat so abgenickt worden sind. Der RBB ist nicht der „Hauptstadtsender“, sondern die Brandenburger haben für ihren Beitrag ein ebensolches Recht wie die Berliner, mit Informationen versorgt zu werden. Auch dem Konzept des „Hauptstadtsenders“, der ehemaligen Intendantin Patricia Schlesinger, hat der selbe Rundfunkrat, der sich jetzt dagegen wehrt, dass ihn der Gesetzgeber an seine Kontrollfunktion und Pflichten erinnern muss, die Zustimmung gegeben.
Dass die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg einen Gesetzesvorschlag unterbreiten, der nicht nur aufgrund der gesellschaftlichen und medialen Entwicklung Neuerungen, sondern Selbstverständlichkeiten wie eine „ausgewogene Verteilung der Ressourcen auf beide Länder“ vorschreiben muss, ist ein Armutszeugnis für den Rundfunkrat. Dass das bisherige Intendantenmodell nicht mehr zeitgemäß ist und geändert werden muss, wird gegenwärtig von verschiedenen Bundesländern thematisiert. In der Pressemeldung verweist der Rundfunkrat darauf, „dass er sich des massiven Vertrauensverlusts in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Allgemeinen und den Rundfunk Berlin-Brandenburg im Besonderen, ausgelöst durch die ehemalige Geschäftsleitung des RBB, bewusst ist. Vertrauen wiederherzustellen, den Rückhalt der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zurückzugewinnen, transparenter und wirtschaftlicher zu handeln sei nur ein Teil der Aufgaben, vor denen der RBB steht.“
Der „massive Vertrauensverlust“ ist zum großen Teil auf die Verfehlungen und die Misswirtschaft der ehemaligen RBB-Leitung zurückzuführen, die unter den Augen und anscheinender Duldung des Rundfunkrates geschehen sind, der jetzt durch den neuen Staatsvertrag die Rundfunkfreiheit gefährdet sieht. Doch wie steht es um diese Freiheit, wenn sie – wie beim RBB – so missbraucht werden kann? Hier müssen die Länder regulierend eingreifen, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aber auch die Interessen der Beitragszahler zu schützen. Es sei daran erinnert, dass die Bundesländer 2022 nach dem Bekanntwerden der Vorfälle beim RBB die Anstalten aufforderten, Selbstverpflichtungen für mehr Transparenz und Compliance zu beschließen. Nachdem das nur unvollkommen erfolgte, haben die Länder schnell gehandelt und innerhalb weniger Wochen den Vierten Medienänderungsstaatsvertrag paraphiert, der das verbindlich regelt.
Nachdem der Beitragsmissbrauch im RBB Stück für Stück an die Öffentlichkeit kam, nahm der Druck zum Handeln sowohl auf die Anstalten als auch auf die Politik zu. Das Bundesverfassungsgericht hat klar definiert, wofür der Rundfunkbeitrag verwendet werden darf. Wenn gegen diese verpflichtenden Regeln verstoßen wird, wenn die Binnenkontrolle nicht funktioniert, wenn die Rundfunkfreiheit dadurch massiv beschädigt wird, ist die Politik verpflichtet endlich zu reagieren. Fast zur gleichen Zeit, als der RBB-Rundfunkrat tagte, wurde über ein Gutachten informiert, nachdem die Wahl der neuen Intendantin Ulrike Demmer durch den Rundfunkrat nicht rechtmäßig war. Die von der Arbeitnehmervertretung des Senders veranlasste Analyse kommt zu dem Schluss, dass es bei der Vorbereitung wie bei der Durchführung der Wahl zu formalen und inhaltlichen Fehlern gekommen sei. Nur eine Neuwahl könne den „eingetretenen rechtswidrigen Zustand beheben“, heißt es in der von Marcus Schladebach, Professor für Öffentliches Recht und Medienrecht an der Universität Potsdam, verfassten Expertise.
Stellt sich angesichts dieser schwerwiegenden Vorwürfe und der Misswirtschaft beim RBB über Jahre, noch die Frage, warum die Politik durch Staatsverträge gezwungen ist, Dinge zu regeln, von denen man bisher hoffte, dass die öffentlich-rechtlichen Sender Kraft ihrer Bestimmung diese selbst ordnen würden?