„Rückzug des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf den Kernauftrag“

12. Februar 2024
Prof. Dr. Holger Paesler, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR)
Prof. Dr. Holger Paesler, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR)
Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk fordert eine kritische Überprüfung der Geschäftspraktiken öffentlich-rechtlicher Tochterunternehmen

Interview mit Prof. Dr. Holger Paesler, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR)

Das Landgericht München I hat in einem Eilverfahren entschieden, dass BRmedia mit bestimmten Werbeaussagen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verstoßen hat, unter anderem da diese nicht hinreichend durch die Studie "Abstrahleffekte" belegt sind. Das Gericht beanstandete, dass zahlreiche Werbeaussagen von BRmedia, die eine höhere Akzeptanz von Werbebotschaften bei Hörern der Sender BAYERN 1 und BAYERN 3 sowie eine positivere Bewertung einer fiktiven Marke im Umfeld dieser Sender suggerieren, nicht durch die Studie gestützt werden. Solche irreführenden und vergleichenden Werbeaussagen sind laut Gerichtsurteil in weiten Teilen unzulässig. Weiterhin ist auch die Veröffentlichung von Befragungsergebnissen, die einen direkten Vergleich zwischen Durchschnittswerten der beiden Einzelsender Bayern 1 und Bayern 3 mit ANTENNE BAYERN ziehen, nicht zulässig.

medienpolitik.net: Herr Paesler, ein Gericht hat entschieden, dass BRmedia mit bestimmten Werbeaussagen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verstoßen hat. Geklagt hatte Antenne Bayern. Reichweitenstudien wie die von BRmedia "Abstrahleffekte" sind doch in der Branche Alltag. Warum der „Aufstand“?

Paesler: Das Problem bei vergleichender Werbung ist bekanntlich, dass sich eine Seite erhebt und besser macht und zugleich die vergleichende Seite abwertet. Dafür gibt es enge rechtliche Grenzen. Gegen diese hat vorliegend BRmedia nach Auffassung des Landgerichts München I klar verstoßen und damit die Spielregeln in der Branche verletzt – dies war Gegenstand unserer Beschwerde. Wir reden mithin nicht von einem "Aufstand", sondern von einem berechtigten und sachlichen Hinweis an die Medienpolitik und die Öffentlichkeit. Es geht darum, auf Geschäftspraktiken aufmerksam zu machen, die nicht nur den fairen Wettbewerb beeinträchtigen, sondern auch in Bezug auf die Verwendung von Mitteln, die aus dem Rundfunkbeitrag stammen, kritisch zu hinterfragen sind. Diese Mittel könnten anstatt für derartige Studien zur Stabilisierung des Rundfunkbeitrages oder für andere öffentlich-rechtliche Aufgaben eingesetzt werden.

medienpolitik.net: Halten Sie diese Praxis von BRMedia für eine Ausnahme?

Paesler: In der konkreten Ausgestaltung schon; sonst hätte unser Mitglied Antenne Bayern die Praxis wohl auch nicht erfolgreich abgemahnt. Diese Initiative erfolgte nach Auffassung von Antenne Bayern auch mit der Zielrichtung, eine Wiederholung solcher Praktiken durch andere Vermarktungstöchter aus dem Umfeld des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu verhindern. Im täglichen Miteinander sollten wir aber generell darauf achten, dass unser Handeln und Tun jeweils der Gattung Radio nützt und diese nicht durch unser Verhalten im Markt oder der Gesellschaft beschädigt.

medienpolitik.net: Öffentlich-rechtliche und private Radios werden in vielen Fällen gemeinsam vermarktet. Ist da ein solches Konkurrenzdenken sinnvoll?

Paesler: Konkurrenz belebt das Geschäft. Und insofern ist es wichtig die unterschiedlichen Besonderheiten und spezifischen Vorteile und Zielgruppen unterschiedlicher Formate und Programme herauszuarbeiten – auch zwischen den Angeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und den privaten Anbietern. Dann gibt es auch Raum die Angebote zu bündeln bzw. gemeinsam zu vermarkten. Dies muss im Miteinander dann aber wieder verbindend und nicht trennend oder abwertend geschehen. Bei allen Beteiligten sollten immer die Vorteile und Qualitäten der Gattung Radio im Fokus stehen. Im Streitfall sind rechtlichen Schritte aber auch ein normaler und notwendiger Bestandteil des Rechtssystems, um gegen Handlungen vorzugehen, die als unlauterer Wettbewerb eingestuft werden könnten.

medienpolitik.net: Die APR appelliert an die Medienpolitik im Rahmen der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Aktivitäten der Tochterunternehmen zu überdenken und für eine gerechte Wettbewerbslandschaft zu sorgen. Welche weiteren Aktivitäten der Tochtergesellschaften bereiten Ihnen Sorgen?

Paesler: Wir sehen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer wieder Aktivitäten aus dem Kernbereich auslagert und damit auch der Kontrolle der Gremien und Finanzorgane entzieht. Hier fehlt Transparenz; als private Mitbewerber merken wir die Auswirkungen aber oft im Markt. Im Ergebnis ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk aktuell auf zwei Ebenen tägig, d.h. einmal gebührenfinanziert und dann wieder mit seinen Töchtern im freien Wettbewerb, bspw. bei der Filmproduktion oder der Werbevermarktung. Hier ist oft unklar, ob und in welcher Form der öffentlich-rechtliche Wettbewerber wieder auf gebührenfinanzierte Produkte und Leistungen zurückgreifen kann. Dieses Spannungsverhältnis ist perse problematisch und bedarf daher beispoielsweise wie in vergleichbaren Fällen, wo Eigenbetriebe der öffentlichen Hand in Konkurrenz zu reinen Wirtschaftsunternehmen treten, einer klaren Abgrenzung der hoheitlichen Aufgaben und Finanzströme – dies sehen wir bei den öffentlich-rechtlichen Kollegen nicht durchgehend gegeben. Gerade im Off-Air- und Veranstaltungsbereich gibt es hier oft Anlass zur Kritik. Das Beispiel von ARD-Plus mit dem Aufbau einer kostenpflichtigen Mediathek kann ich noch nennen, oder die Tatsache, dass Reichweite auf Drittplattformen zugekauft wird. Dies halten wir für hochproblematisch.

„‘Die Unübersichtlichkeit der Hörfunksender zu überprüfen und neu zu ordnen‘, versteht der Zukunftsrat als ‚ein Gebot von Fairness und Effizienz‘“.

medienpolitik.net: Wie sollte die Tätigkeit der Tochtergesellschaften geregelt werden?

Paesler: Eine klare und transparente Abgrenzung der Aufgaben und Finanzströme wäre sicher ein erster Schritt. Generell bleibt aber die Frage: Henne oder Ei? Gerade im Digitalen wird deutlich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk Journalismus nicht als Geschäftsmodell sieht, sondern mehr als Vorhalten einer öffentlichen Leistung, als gebührenfinanzierter Beitrag zur Demokratie. Der Rundfunkgesetzgeber muss dann aber einschränkend tätig werden, damit den privatwirtschaftlich organisierten Anbietern noch wirtschaftlicher Spielraum zur Refinanzierung der journalistischen Produkte bleibt. Mit anderen Worten: Rückzug des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf den Kernauftrag und Außenplurale Vielfalt durch die private Seite.

medienpolitik.net: Inwieweit ist das duale System noch im Gleichgewicht?

Paesler: Das Gleichgewicht im dualen System gerät weiter aus den Fugen. Auf der einen Seite haben wir knapp 9 Milliarden Euro Gebühren plus Werbeeinnahmen für ca. 20 lineare Fernsehsender und 70 lineare Radiosender und über 25.000 feste Mitarbeitern - über digitale Produkte, eine weitere Anzahl fester-freier und freier Mitarbeiter und das Bespielen nachgelagerter Märkte sprechen wir dabei nicht; auch nicht über die politische und gesellschaftliche Unterstützung in den Gremien. Die privatwirtschaftlich finanzierte Medienseite in Deutschland hat diese Bestands- und Entwicklungsgarantie nicht und muss im Gegensatz in einem sich rasant verändernden digitalen Umfeld seine Transformation selbst leisten und erwirtschaften. Dafür gibt es zu wenig Unterstützung: nicht durch die Politik, nicht durch die Regulierung und auch der Gesetzgeber schafft keine Rahmenbedingungen, die einen Bestand und eine Fortentwicklung der privaten Medienseite in Deutschland absichern helfen.

„Es wird keine Entwicklung geben, ohne Einbeziehung der anderen Seite im Dualen System.“

medienpolitik.net: Es liegen inzwischen von den Ländern und auch vom Zukunftsrat Reformvorschläge auf dem Tisch. Welche haben aus Sicht des APR Priorität?

Paesler: Die erste Forderung an die Länder ist: sprecht mit uns und nehmt die private Medienseite in die Überlegungen zur Zukunft der Medien mit auf. Es wird keine Entwicklung geben, ohne Einbeziehung der anderen Seite im Dualen System. Eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks allein bringt gar nichts. Bei den Reformvorschlägen gehe ich auf Auftrag, Technische Plattformen, Auswirkungen auf Private, Grenzen der Medienpolitik und Hörfunk/Audio ein, soweit ich die Reformvorschläge einzuordnen vermag: beim Auftrag sollen die Programme der Anstalten für die gesellschaftliche Debatte besonders und von denen der Privaten unterscheidbar sein. Im Radio soll das derzeitige Angebot korrigiert werden. Die Regionalisierung unterhalb der Ebene der Länder ist vom Zukunftsrat nicht gefordert. Eine einheitliche technische Plattform für die Anstalten wird in der Form einer eigenen Firma vorgeschlagen. Das ist zu begrüßen, die Plattform sollte über die Empfehlung hinaus auch für Private offenstehen. Der Zukunftsrat hat bzgl. der Auswirkungen auf Private angesprochen, dass die Umsetzung seiner Vorschläge durch die Medienpolitik Auswirkungen auf private Anbieter haben wird. Bei den Themen Werbung und den Beteiligungsfirmen der Anstalten hat er weitere Untersuchungen angemahnt. Er hat sich nicht an die Stelle der Medienpolitik gesetzt, ihr aber diese (noch zu bewältigende) Aufgabe verdeutlicht. Richtig ist die Erkenntnis des Zukunftsrates, dass das Wohl der privatwirtschaftlichen Anbieter von Medien in Deutschland nicht nur von den Öffentlich-Rechtlichen abhängt. Ihre Aufgaben und die Finanzierung sind ein sehr wichtiger Ausschnitt aus den Rahmenbedingungen für Private, aber die internationalen Plattformen und eine ganze Reihe anderer Politikfelder bestimmen ebenfalls die Handlungsspielräume der privaten Unternehmen elementar. Beim Hörfunk/Audio wird eine Optimierung vorgeschlagen. Jede Landesrundfunkanstalt solle Programme für Junge, Mittlere und Ältere, dazu ein Kultur- und ein Infoprogramm anbieten mit einem gemeinsamen Mantel. Das wären je fünf Radioprogramme. "Die Unübersichtlichkeit der Hörfunksender zu überprüfen und neu zu ordnen" versteht der Zukunftsrat als "ein Gebot von Fairness und Effizienz".

Am Ende bleiben für mich vielen Fragen offen, was der Bericht ausdrücklich anspricht. Die Länder entschieden über die Reform der Anstalten und müssten dabei die privatwirtschaftlichen Medienangebote einbeziehen. "Auch in einer dualen Rundfunkordnung bedarf es eines konstruktiven Wechselspiels zwischen öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlich finanzierten Medien". Zukünftig müssten die Anstalten mit besonderer "Sensibilität" vorgehen und zu fairen Kooperationen bereit sein. Die Änderungen am Werbemarkt spricht der Zukunftsrat an, das habe er aber nicht vertieft bewerten können. Die Frage müsse grundsätzlich angegangen werden. Gleiches gilt für die Beteiligungen der Anstalten und eine "Flucht ins Privatrecht" und der Kommerzialisierung von Angeboten – letztlich spricht der Zukunftsrat viele Themen an, die die APR auch so adressiert!

medienpolitik.net: Geht es Ihnen dabei vor allem um eine Schwächung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zugunsten des privaten Rundfunks?

Paesler: Im demokratischen Diskurs sind beide Seiten wichtig. Für mich sind die klassischen Medien, egal ob öffentlich-rechtlich oder privatwirtschaftlich organisiert, kommunizierende Röhren, um Menschen die Teilhabe und Meinungsbildung in der Gesellschaft zu ermöglichen. Beide Seiten machen dies mit einer klaren Absenderschaft im Rahmen einer verantwortlichen Kommunikation, neudeutsch Public Value. Beide Seiten haben die Probleme zu meistern, die Digitalisierung und Transformation mit sich bringen, sei es hinsichtlich der Sichtbarkeit und Durchdringung mit Botschaften, oder junge Zielgruppen anzusprechen – der große Unterschied liegt aber in der Finanzierungsquelle.

medienpolitik.net: Sie sind seit 1. Januar neuer Geschäftsführer der APR. Wo sehen Sie Ihre medienpolitischen Schwerpunkte für 2024?

Paesler: Ich möchte der privaten Seite Sicht und Stimme geben bei der anstehenden Diskussion zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das Wechselspiel zwischen öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlich organisierten Medien orchestrieren und vor allem den Blick auf die richtigen Fragen richten: so fehlt bspw. eine Einbeziehung der Intermediäre in die medienrechtliche Regulierung (Stichwort level playing field), ein funktionierendes und robustes Leistungsschutzrecht und eine gute neutrale technische Lösung für die medialen Ausspielwege der Zukunft. Warum eigentlich nicht alles künftig finanziert über eine Digitalsteuer oder gesplittete Rundfunkgebühr wie in Österreich? Wir müssen vieles neu denken!

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