„Strukturen müssen dem Auftrag folgen, nicht umgekehrt“

10. Januar 2024
Nathanael Liminski
Nathanael Liminski
NRW fordert vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk Kosten und Leistung in Übereinstimmung zu bringen, sieht es als Aufgabe des Bundes die steuerbasierte Filmförderung zu finanzieren und will individuelle Medienkompetenz stärker fördern

Antworten von Nathanael Liminski (CDU), Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei

 „Kein anderes Bundesland kann mit der Vielfalt und Stärke der nordrhein-westfälischen Medienlandschaft mithalten“, so der Medienminister und Chef der Staatskanzlei Nathanael Liminski. Damit das so bleibt, will das Bundesland 2024 die regionale Medienvielfalt fördern, die Landesanstalt für Medien finanziell besser ausstatten, einen Aktionsplan gegen Desinformation zügig umsetzen und die Medienbranche beim Einsatz von KI unterstützen. Als Standort der größten ARD-Anstalt hat Leminski aber auch Überlegungen für die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Erstens, die Sicherung eines verantwortlichen und transparenten Umgangs mit Beitragsgeldern. Strukturen müssten dem Auftrag folgen, nicht umgekehrt. Zweitens wird ein Angebot mit qualitativ hochwertigen Inhalten benötigt, das möglichst alle Nutzerinnen und Nutzer erreicht und hohen journalistischen Ansprüchen genüge. Dieser inhaltliche Anspruch müsse auch für Jugendangebote gelten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk solle Vielfalt sichern, nicht beitragsfinanziert der Vielfalt die Luft zum Atmen nehmen, sagt der CDU-Medienpolitiker

medienpolitik.net: Wo liegen für Ihre Landesregierung die medienpolitischen Schwerpunkte für 2024?

Liminski: Die Regierungskoalition in Nordrhein-Westfalen von CDU und Bündnis90/Grünen geht 2024 in ihr zweites Jahr und hat sich auch in der Medienpolitik viel vorgenommen. Kein anderes Bundesland kann mit der Vielfalt und Stärke der nordrhein-westfälischen Medienlandschaft mithalten: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, privater Rundfunk von RTL bis hin zum Lokalfunk, eine große Zahl von Zeitungsverlagen und unabhängigen Online-Medien, zahlreiche Kreative in Film und Games – sie alle brauchen ein gutes Umfeld. Denn sie leisten unverzichtbare Beiträge zur Wertschöpfung, Kreativität und Innovationskraft in unserem Land und bieten Hundertausende von spannenden Arbeitsplätzen.

Die zentrale Aufgabe unserer Medienpolitik ist und bleibt es, die Medienvielfalt im Land zu sichern, gerade auch im Lokalen. Dazu gehört, dass wir an guter Medienregulierung mitwirken, vom European Media Freedom Act auf EU-Ebene bis hin zur staatsvertraglichen Absicherung der Regionalfenster. Auch den Strukturprozess im Lokalfunk NRW werden wir landesgesetzlich begleiten, wenn sich im weiteren Reformprozess der Lokalfunkakteure dafür Notwendigkeiten abzeichnen sollten. Die regierungstragenden Fraktionen haben gerade eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, die für eine bessere Finanzausstattung der Landesanstalt für Medien NRW sorgen wird. Damit erhielte die LfM auch die Möglichkeit, den Lokalfunk NRW beim Einstieg in DAB+ zu unterstützen.

Inhaltliche Innovationen im Journalismus unterstützen wir indirekt ebenfalls, unter Beachtung der notwendigen Staatsferne. Das Bonn Institute für Journalismus und konstruktiven Dialog hat sich in nur zwei Jahren einen sehr guten Ruf erarbeitet und wird auch weiterhin von uns finanziell unterstützt. Das gilt auch für das vom Bonn Institute organisierten bº future festivals, das 2023 erstmals Journalistinnen und Journalisten und Bürgerinnen und Bürger zusammengebracht hat und von nun an regelmäßig am internationalen Standort Bonn stattfinden soll. Als Institution für Medienqualität und Mediendiskurs unterstützen wir auch weiterhin das Grimme-Institut und treiben mit den anderen Gesellschaftern dessen Fokussierung und Erneuerung weiter voran.

Eine besondere Herausforderung wird über alle Teilbranchen des Mediensektors hinweg die kreative Nutzung von Künstlicher Intelligenz. Sie bietet neue Möglichkeiten der Produktgestaltung und -distribution, verändert zwangsläufig aber auch die Anforderungen an Fachkräfte wie Kunden. Wir wollen, dass die Akteure in Nordrhein-Westfalen hier ganz vorne mit dabei sind und die Chancen der KI nutzen.

Angesichts der rasanten technologischen Veränderungen und ihrer Auswirkungen auf die Medienwelt ist uns allen schon lange klar, dass wir noch besser darin werden müssen, die individuelle Medienkompetenz zu stärken. Das wird für uns auch in 2024 ein zentraler Schwerpunkt sein, auch im Kontext des von der Regierungskoalition geplanten Aktionsplans gegen Desinformation. Wir wollen den mehrsprachigen #DigitalcheckNRW noch bekannter machen – auch mit Specials zu Künstlicher Intelligenz, Cybersicherheit und bald auch zu Desinformation. Das gleiche gilt für den neuen NewscheckNRW, eine Online-Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer zum Thema Journalismus und Medienkompetenzförderung in der Schule.  

„Eine steuerliche Filmförderung schafft Berechenbarkeit und stärkt das deutsche Fördersystem – nicht nur in der Film-, sondern auch in Games-Branche. Aber wenn der Bund das will, dann muss er dafür auch den finanziellen Rahmen schaffen.“

 2024 wird auch für die Filmbranche ein enorm wichtiges Jahr. Die Goldgräberstimmung ist auch wegen der Umbrüche bei den US-Streaming-Plattformen merklich abgekühlt. Es wird deutlich weniger beauftragt als noch vor einem Jahr. Umso wichtiger ist, dass die bereits eingeleitete Reform der Filmförderung ein großer Wurf wird, der die Branche nachhaltig stärkt. Natürlich müssen wir hier vor allem die Produzenten und alle Filmschaffenden im Blick haben. Genauso wichtig ist aber, dass es sich für die Auftraggeber – also auch die öffentlich-rechtlichen und privaten Sender – weiterhin lohnt, in die Bewegtbildproduktion zu investieren, mit direkten wirtschaftlichen Effekten für die Kreativen vor Ort. Kleinteilige Quoten im Rahmen der diskutierten Investitionsverpflichtung, die das Engagement der großen Sender in den Filmförderinstitutionen der Länder konterkarieren würden, sind nicht akzeptabel. Eine steuerliche Filmförderung schafft Berechenbarkeit und stärkt das deutsche Fördersystem – nicht nur in der Film-, sondern auch in Games-Branche. Aber wenn der Bund das will, dann muss er dafür auch den finanziellen Rahmen schaffen. Nordrhein-Westfalen ist 2023 von den Games-Unternehmen zum besten Games-Standort in Deutschland gewählt worden. Diesen Rang wollen wir halten – u.a. mit einer funktionierenden Games-Förderung über die Film- und Medienstiftung NRW und gezielten Förderungen im Bereich E-Sport. Inzwischen haben wir in Nordrhein-Westfalen Angebote in der Förderung und in der Aus- und Weiterbildung, die ihresgleichen suchen. Hinzu kommen zahlreiche Veranstaltungsformate wie die Gamescom, die Devcom, der Deutsche Entwicklerpreis und viele mehr, die der Branche bestmögliche Vernetzungsmöglichkeiten bieten.

Alle Teilbranchen der Medienwirtschaft spüren bereits einen strukturellen Fachkräftemangel, der sich angesichts der demografischen Veränderungen weiter verschärfen wird. Ein Medien-Fachkräfte-Beirat, den ich 2023 eingerichtet habe, hat mir am 27. November 2023 zwanzig konkrete Empfehlungen überreicht, mit denen Branche und Politik gemeinsam zusätzliche Impulse geben können, von gemeinsamen Aktivitäten zur Verstärkung der Sichtbarkeit des attraktiven Medienarbeitsmarkts in Nordrhein-Westfalen bis hin zu innovativen Aus- und Weiterbildungsangeboten, mit denen auch neue Zielgruppen angesprochen werden. 2024 wird hier das erste Jahr der Umsetzung werden – auf einem sicher längeren Weg.

medienpolitik.net: Die Länder arbeiten intensiv an einem weiteren Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Welche Reformen müssten sich Ihrer Meinung nach unbedingt in einem solchen Medienänderungsstaatsvertrag wiederfinden?

Liminski: Mit dem 3. und 4. Medienänderungsstaatsvertrag sind wichtige Dinge angestoßen: Ansprüche an das Programm, die Fortentwicklung ins Digitale, Compliance und Stärkung der Aufsicht. Eine Vielzahl weiterer Themenstellungen sind derzeit in der Prüfung. Ein wesentlicher Fokus liegt auf einer verbesserten Steuerung des Gesamtangebots wie auch der Ausgaben und damit auch effizienteren Strukturen. Zusammen mit den Empfehlungen des Zukunftsrats und dem, was die Anstalten aus eigener Veranlassung heraus bereits angehen, ist es die größte Reform in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Aus meiner Sicht ist das ein Erneuerungsprozess, der längst überfällig ist. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird an der Wahrnehmung seiner gesellschaftlichen Aufgabe gemessen und an der Qualität und Zuverlässigkeit, mit der er sie erfüllt. Er braucht eine Verankerung in der Gesellschaft. Nur durch sie kann Akzeptanz in der Breite der Gesellschaft perspektivisch aufrechterhalten werden. Der Wert des Rundfunkbeitrags muss dazu für die Nutzerinnen und Nutzer erkennbar sein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss durch sein Produkt, aber am Ende eben auch durch seinen Preis überzeugen.

Ich habe mich immer für einen starken öffentlich-rechtlich Rundfunk eingesetzt und tue dies auch weiterhin. Gerade deshalb halte ich Reformen für existentiell. Der öffentlich-rechtlichen Rundfunk leistet viel, gerade im Bereich Kultur und Berichterstattung. Aber er wird in der Gesamtheit der an ihn gestellten Ansprüche, auch im Wettlauf mit den sich verändernden Rahmenbedingungen nicht gerecht. Es braucht dringend Veränderung und mit ihr Verzicht auf Altes. Ein kontinuierliches Mehr kann es nicht geben.

„Ich erwarte, dass die Anstalten selbst auch weiter an ihrer Selbstreflexion und Fehlerkultur arbeite, Diskurs und Widerspruch müssen möglich sein.“

Ich sehe zwei grundlegende Aspekte, die im Rahmen der Reform anzugehen sind:

Erstens: Die Sicherung eines verantwortlichen und transparenten Umgangs mit Beitragsgeldern. Strukturen müssen dem Auftrag folgen, nicht umgekehrt. Überlagernde oder parallele Strukturen, die keinen Beitrag zur inhaltlichen Vielfalt leisten, darf es daher nicht mehr geben, etwa im Bereich der Verwaltung und Technik. Stattdessen sind neue Formen der Zusammenarbeit, Verschlankung und Bündelung von Ressourcen im Sinne von Kompetenzcentren, Poollösungen und gemeinsamen Infrastrukturen geboten. Das Handeln des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss für die Beitragszahler nachvollziehbar sein und sich an Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit messen lassen können. Dies gilt auch als Maßstab für die Gremienaufsicht. Der beitragsfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk soll frei von Marktmechanismen agieren können; das entbindet ihn aber nicht davon, effizient zu sein in dem, was er tut.

Zweitens: Es braucht ein Angebot mit qualitativ hochwertigen Inhalten, das möglichst alle Nutzerinnen und Nutzer erreicht und hohen journalistischen Ansprüchen genügt. Dieser inhaltliche Anspruch muss auch für Jugendangebote gelten. Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der für sich in Anspruch nimmt, Qualitätsjournalismus zu leisten, muss sich in besonderem Maße diesen Standards verpflichtet fühlen. Die Vermischung von Genres, d.h. Satire und Journalismus, halte ich für sehr fragwürdig.

Kosten und Leistung müssen am Ende in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss möglichst alle erreichen, aber nicht alles machen; das, was er macht, muss er gut machen. Ich halte daher eine Fokussierung auf seinen wesentlichen Auftrag für geboten. Augenmaß gilt gerade dort, wo Vielfalt im Markt weiter existiert. Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll Vielfalt sichern, nicht beitragsfinanziert der Vielfalt die Luft zum Atmen nehmen. Die regionale Verankerung der ARD-Anstalten ist ein hohes Gut, das aus meiner Sicht mit seinen etablierten Marken weiter geschützt werden sollte. Auch das entbindet aber nicht davon, dass Expertise gebündelt und sinnvoll zusammengearbeitet wird – auch über die ARD hinaus. Ich halte eine stärkere Koordination des Gesamtangebots für zwingend.

Daneben wird es weitere Dinge geben, die ebenfalls anzugehen, aber kaum gesetzlich zu regeln sind. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht in besonderer Weise in der Verantwortung, die Breite der Gesellschaft abzubilden. Hierzu gehört neben einer Vielfalt von Themen auch ein breites politisches Meinungsspektrum. Dies wird nur gelingen können, wenn auch Redaktionen möglichst vielfältig zusammengesetzt sind. Ich erwarte zudem, dass die Anstalten selbst auch weiter an ihrer Selbstreflexion und Fehlerkultur arbeite, Diskurs und Widerspruch müssen möglich sein. Fehler passieren; dann müssen sie aber auch eingeräumt und korrigiert werden.

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