Durch Internet und soziale Medien verbreiten sich Wissen, Nachrichten und Botschaften schneller und weiter als je zuvor. Die Technologien erleichtern aber auch die Verbreitung von Fake News. Gemeint sind damit Desinformationen sowie Falschinformationen, denen eine bewusste Täuschungsabsicht zugrunde liegt. Laut Weltrisikobericht 2024, für den knapp 1.500 Fachleute verschiedener Sparten vom Weltwirtschaftsforum befragt wurden, liegt in Falsch- und Desinformationen das derzeit größte Risiko für die Weltbevölkerung. Und – das zeigt die vorliegende Studie, die in Kooperation des Nürnberger Instituts für Marktentscheidungen e. V. (NIM) und BR24 #Faktenfuchs entstand – auch die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sehen in Desinformation ein großes gesellschaftliches Problem. Doch wie geht die Bevölkerung mit Falsch- und Desinformationen um? Wen sehen sie in der Pflicht, deren Verbreitung zu unterbinden?
Eine deutliche Mehrheit der Deutschen sieht in Falsch- und Desinformationen ein großes gesellschaftliches Problem. Etwa jeder Dritte gibt sogar an, dass Falsch- und 1 Desinformationen Auslöser für Streit unter Freunden oder in der Familie waren.
Etwa jeder zehnte Befragte ist der Ansicht, dass Falsch- und Desinformationen kein Problem sind. 22 Prozent haben hierzu keine klare Meinung. Unterschiede sind nach Alter der Befragten festzustellen. So scheinen Fake News für Jüngere eine geringere Rolle zu spielen. Nur jeder Zweite aus der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen sieht darin ein (sehr) großes Problem, verglichen mit ca. 80 Prozent der über 60-Jährigen. Zwar sehen Jüngere im Vergleich zu Älteren in Desinformation seltener ein großes gesellschaftliches Problem. Dafür sind irreführende Meldungen bei Jüngeren sehr viel häufiger Auslöser für Streit im privaten Umfeld als bei Älteren. Etwa 40 Prozent der Befragten zwischen 18 und 39 Jahrengeben an, wegen Falschinformationen mit Freunden oder Familienangehörigen im Clinch gelegen zu haben. Bei den Befragten Ü 60 liegt dieser Anteil bei unter 20 Prozent. Fachleute und Bürger sind sich einig: Falsche Informationen, denen eine bewusste Täuschungsabsicht zugrunde liegt, sind ein großes gesellschaftliches Problem – und das nicht nur im abstrakten Sinne: In fast jeder dritten privaten Beziehung in Deutschland führen Falschinformationen sogar zu Streit. Damit steht fest: Fake News sind ein Stresstest für die Demokratie und für das gesellschaftliche Zusammenleben gleichermaßen.
Falsch- und Desinformationen werden vor allem in den sozialen Medien verortet. Jeder vierte Deutsche glaubt aber auch, dass falsche und irreführende Informationen vor allem von den arrivierten Medien verbreitet werden.
Etwa 2 von 3 Befragten teilt diese Meinung, wobei zwischen sogenannten Alternativmedien und Influencern bzw. Content Creators offenbar kein großer Unterschied gemacht wird. Immerhin jeder vierte Befragte vertritt aber auch die Meinung, dass es die arrivierten Medien (u. a. öffentlich-rechtlicher Rundfunk und überregionale Tages- und Wochenzeitungen) sind, die Falsch und Desinformationen am stärksten verbreiten. Jüngere und Personen mit niedrigem Einkommen sind vergleichsweise selten der Ansicht, dass Influencer Desinformation verbreiten. Was arrivierte Medien betrifft, gibt es keine besonders herausstechende Gruppe. Dass sogenannte Alternativmedien und Influencer, die beide stark auf soziale Medien setzen, um Inhalte zu verbreiten, unter Fake-News-Verdacht stehen, ist keine große Überraschung.
Etwa jeder Vierte ist aber auch der Meinung, dass Desinformationen vor allem von arrivierten Medien verbreitet werden. Das Spannende daran: Unter Personen mit Abitur und solchen mit hohem Einkommen ist diese Meinung fast genauso weit verbreitet wie bei Geringverdienern und Personen mit niedrigem Schulabschluss. Damit werden arrivierte Medien, die eine herausgehobene Rolle bei der demokratischen Willensbildung spielen, gruppenübergreifend von Teilen der Gesellschaft substanziell infrage gestellt.
Falsch- und Desinformationen verändern den Umgang mit Medien. Viele Deutsche geben an, Nachrichten und deren Quellen nicht nur genauer zu überprüfen, sie berichten auch über einen allgemeinen Vertrauensverlust.
Drei von vier Befragten machen eine entsprechende Angabe. Am häufigsten berichtet wird, dass Nachrichten und deren Quellen generell genauer überprüft werden. 40 Prozent der Befragten geben zu Protokoll, dass sie Medien und Social-Media-Plattformen allgemein weniger vertrauen. Immerhin 17 Prozent der Befragten verlassen sich nur noch auf Nachrichten aus bestimmten, für sie glaubwürdigen Quellen. Jüngere geben vergleichsweise häufig an, nur noch solchen Nachrichten zu glauben, die bei bestimmten Medien oder Kanälen erscheinen. Knapp 30 Prozent der 18- bis 29-Jährigen sind der Meinung, dass nur noch solche Nachrichten glaubwürdig sind, die bei Medien erscheinen, denen sie vertrauen (Ü 50: ca. 10 Prozent). Gleichzeitig berichten Jüngere im Vergleich zu Älteren seltener, dass sie Medien und Social-Media-Plattformen allgemein weniger vertrauen (U 50: ca. 35 Prozent, Ü 50: 44 Prozent). Dafür vertrauen Jüngere solchen Medien weniger, die sie mit Fake News in Verbindung bringen (U 40: 38 Prozent, Ü 50: ca. 30 Prozent). Älteren sind soziale Medien offenbar pauschal suspekt. Das zeigt sich in ihrer Meinung zur Verortung von Fake News und darauf deuten auch die Antworten zu den Konsequenzen von Fake News hin. Jüngere Menschen haben dazu eine deutlich differenziertere Haltung. Sie verorten in sozialen Medien weniger häufig grundsätzlich Fake News. Dafür geben sie häufiger an, vor allem solchen Kanälen weniger zu vertrauen, die bereits im Kontext Fake News auffällig geworden sind. Vielleicht macht sich hier die größere Erfahrung im Umgang mit sozialen Medien bemerkbar. In der Konsequenz berichten Jüngere jedenfalls davon, sich beim Medienkonsum stärker an vertrauenswürdigen Marken zu orientieren.
Die Mehrheit der Deutschen ergreift Maßnahmen, um den Wahrheitsgehalt von Nachrichten zu überprüfen. Nur eine Minderheit geht aber auch selbst aktiv gegen Falsch- und Desinformationen vor.
73 Prozent der Befragten haben schon mal genauer überprüft, ob eine Nachricht auch wirklich wahr ist. Am häufigsten setzen sie dabei auf die Recherche via Suchmaschine. Relativ häufig werden Nachrichten auch im privaten Umfeld diskutiert. Weniger weit verbreitet ist die Nutzung von Kommentar- und Diskussionsangeboten auf den Nachrichtenseiten, von Anfragen oder von intelligenten Chatbots wie ChatGPT. Jüngere überprüfen den Wahrheitsgehalt von Nachrichten nicht nur häufiger, sie wenden dabei auch eine größere Bandbreite an Strategien an. Vergleichsweise beliebt sind bei Personen zwischen 18 und 29 Jahren etwa Kommentarmöglichkeiten unter der Nachricht, die sie für Nachfragen nutzen oder um über die Meldung zu diskutieren (23 Prozent, Ü 50: ca. 10 Prozent).
Personen zwischen 30 und 49 Jahren nutzen überdurchschnittlich häufig spezielle Faktencheck- Medien. Für knapp 30 Prozent der Personen in dieser Altersgruppe sind entsprechende Angebote ein wichtiger Anlaufpunkt. Wer meint, mit einer Desinformation konfrontiert zu sein, ignoriert diese oder macht nichts. Verhältnismäßig häufig (20 Prozent) wird ein Hinweis in Kommentarfeldern zur Nachricht hinterlassen mit dem Ziel, andere Nutzer zu warnen. Ähnlich häufig wird die Desinformation beim Betreiber des Mediums bzw. der Plattform gemeldet. Fast jeder Zehnte hat eine Desinformation schon mal spaßeshalber geteilt. Erwachsene Personen unter 40 Jahren hinterlassen deutlich häufiger als ältere Befragte einen Hinweis in Kommentarfeldern zur Nachricht. Und sie melden die Nachricht auch deutlich häufiger als Ältere beim Medien- oder Plattformbetreiber. Dabei ist eine Entwicklung zu beobachten: Während 30- bis 39-Jährige noch häufiger Hinweise in Kommentarfeldern hinterlassen, greifen 18- bis 29-Jährige stärker auf die Meldung der potenziellen Desinformation beim Betreiber des Mediums bzw. der Plattform zurück. Jüngere Menschen ergreifen nicht nur häufiger und mehr Maßnahmen, um den Wahrheitsgehalt von Nachrichten zu überprüfen. Sie zeigen auch mehr Eigeninitiative, wenn es um die Bekämpfung von als Fake News identifizierten Meldungen geht. Ein Grund dafür könnte das gewandelte Mediennutzungsverhalten sein. Schließlich ist anzunehmen, dass Jüngere häufiger auf Social-Media-Plattformen unterwegs sind und infolgedessen stärker mit Desinformation in Berührung kommen. Gleichzeitig haben sie mehr Erfahrung mit den Tücken der Plattformen, aber auch mit deren technischen Möglichkeiten.
Eine große Mehrheit wünscht sich ein stärkeres Vorgehen gegen Falsch- und Desinformationen. Was die Zuständigkeit betrifft, so handelt es sich aus Sicht der Deutschen um eine Gemeinschaftsaufgabe.
Entsprechenden Handlungsbedarf sehen 72 Prozent der Befragten. Dass sie ganz aus der Welt geschafft werden können, daran scheinen aber nur die wenigsten zu glauben. Noch 36 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass gegen Falsch- und Desinformationen viel getan werden kann. Jeder Dritte teilt die Sorge, dass Regierungen beim Kampf gegen Fake News zu weit gehen, ein etwas höherer Anteil teilt diese Sorge nicht. Eine Mehrheit sieht Medien und Plattformen in der Pflicht, die Verbreitung von Falsch- und Desinformationen zu unterbinden. Diese Ansicht teilt etwa jeder zweite Befragte. 42 Prozent der Deutschen finden, dass es Aufgabe von Journalisten ist, Behauptungen und Gerüchte zu überprüfen. Auch der Staat bzw. eine Behörde sowie Privatpersonen werden von vielen Befragten in die Pflicht genommen.
Vergleichsweise wenige Befragte (22 Prozent) wünschen sich, dass Gerichte auf Antrag entscheiden, was eine Falsch- oder Desinformation ist und ob sie verbreitet werden darf. Zwar sieht eine Mehrheit in erster Linie Medien- bzw. Plattformbetreiber in der Pflicht, wenn es um die Reduzierung von Fake News geht. Die hohen Zustimmungswerte für weitere Akteure wie Journalisten, Staat und Privatpersonen machen aber deutlich, dass der Kampf gegen Desinformation aus Sicht der Deutschen eine Gemeinschaftsaufgabe ist. Mit dem Gesetz über digitale Dienste (DSA) wurde in der EU die Möglichkeit zur Reaktion auf Fake News deutlich verbessert. Ob die Akteure davon Gebrauch machen und ob Desinformation damit tatsächlich eingedämmt werden kann, wird die Praxis zeigen.
Das Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (NIM) untersucht an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis, wie sich Konsumentscheidungen durch neue Technologien oder gesellschaftliche Trends oder die Anwendung von Behavioral Science verändern und welche mikro- und makroökonomischen Auswirkungen das für den Markt und die Gesellschaft hat. Ein besseres Verständnis von Konsumentscheidungen und ihren Auswirkungen hilft Gesellschaft, Unternehmen, Politik und Konsumenten, bessere Entscheidungen im Sinne der sozialökologischen Marktwirtschaft und des „Wohlstands für Alle“ zu treffen.
https://www.nim.org/fileadmin/PUBLIC/3_NIM_Publikationen/NIM-Studien/NIMpulse/2024/NIMpulse_6_-_Fake_News_fin.pdf