„Abstimmungsprozesse sind kein Selbstzweck“

06. Februar 2024
Gabriele Hammelrath, Vorsitzende des ARD-Programmbeirates
Gabriele Hammelrath, Vorsitzende des ARD-Programmbeirates
Der ARD-Programmbeirat bewertet das Angebot kritisch und gibt der Programmdirektion Empfehlungen

Interview mit Gabriele Hammelrath, Vorsitzende des ARD-Programmbeirates 

Der ARD-Programmbeirat hat eine neue Vorsitzende gewählt: Gabriele Hammelrath ist seit 2022 Mitglied dieses Gremiums. Seit 2010 gehört sie dem Rundfunkrat des WDR an, in den die SPD-Abgeordnete vom Landtag Nordrhein-Westfalen entsandt worden ist. Nach Angaben auf der Online-Seite des Ersten gibt der Programmbeirat „Anregungen und Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Programms und für die zukünftige Programmgestaltung, zu allererst für Das Erste, aber auch für die digitalen Fernsehprogramme der ARD sowie für die Kooperationsprogramme 3sat, KiKA, phoenix und das junge Angebot funk.“ Regelmäßig würden auch neue Programmformate oder Sendungen, die nicht zum Regelprogramm gehören, beobachtet, heißt es weiter. Daneben setze sich der Beirat Beobachtungsschwerpunkte, die entweder einen inhaltlichen oder zeitlichen Programmbezug aufwiesen. So würden beispielsweise die politischen Magazine oder Sendestrecken, wie der Samstagnachmittag im Ersten analysiert. Die Arbeit dieses Gremiums vollzieht sich allerdings weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

medienpolitik.net: Frau Hammelrath, die Mitglieder des Programmbeirates der ARD kommen aus den neun ARD-Landesrundfunkanstalten. Nach welchen Kriterien werden sie dort ausgewählt?

Hammelrath: Das weiß ich nicht. Die Rundfunkräte der Landesrundfunkanstalten entscheiden das selbst. Es müssen selbstverständlich Personen sein, die sich in ihren Anstalten mit Programmfragen und Programmbeobachtungen befassen und in der Regel bereits in den jeweiligen Programmausschüssen mitgearbeitet haben.

medienpolitik.net: Mir ist aufgefallen, dass von den neun Mitgliedern des Programmbeirates vier einer Partei angehören (CDU, SPD, B90/Grüne, FDP). Ist diese Ausgewogenheit Zufall?

Hammelrath: Ja, das ist Zufall. Die Parteizugehörigkeit war mir vor diesem Gespräch so nicht bewusst, denn in der Arbeit des Programmbeirates ist von bestimmten parteipolitischen Präferenzen nichts zu spüren.

medienpolitik.net: Die Programme werden von den Landesrundfunkanstalten zugeliefert. Christine Strobl, die Programmdirektorin des Ersten, koordiniert diese Angebote. Damit haben Sie auf die Inhalte doch keinen Einfluss. Was können Sie beeinflussen?

Hammelrath: Die Aufgabe der Programmdirektorin geht heute über die Koordination weit hinaus. Die Programmdirektion des Ersten diskutiert mit den Programmdirektoren der Landesrundfunkanstalten über ganze Programmstrecken und über inhaltliche Defizite. Die Verstärkung der Serienproduktionen beispielsweise ist ein gemeinsamer Beschluss der Programmdirektion des Ersten mit den Anstalten.  Christine Strobel hat einen großen Einfluss auf solche Entscheidungen. Damit haben die Bewertungen und Empfehlungen des Programmbeirates auch unmittelbar Gewicht, nicht nur für die Zusammenstellung des Programms, sondern auch auf die inhaltlichen Akzente.

medienpolitik.net: Das erfordert einen erheblichen Koordinationsaufwand.

Hammelrath: Ja sicher, ist ein hoher Abstimmungsbedarf vorhanden. Es zeichnet ein modernes Unternehmen und eine moderne Führung aus, dass nicht administrativ etwas angeordnet wird, sondern solche Diskussionen mit vielen Partnern erforderlich sind, um das beste Ergebnis zu erreichen. Und diesen kreativen Prozess begleitet der Programmbeirat.

medienpolitik.net: Zu den Vorschlägen des Zukunftsrates gehört eine Reduzierung der Koordination durch eine Änderung der Organisationsstruktur. Er hält den großen Koordinationsaufwand innerhalb der ARD für ein Problem, das viel Kraft bindet, die in bessere Inhalte fließen könnte.

Hammelrath: Solche Abstimmungsprozesse sollten selbstverständlich effektiv ablaufen, denn sie sind kein Selbstzweck und müssen daraufhin überprüft werden. Hier bestehen auch in der ARD weiter Verbesserungsmöglichkeiten, die Organisation zu straffen. Auch müssen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten klarer geregelt sein, so wie es bei den Kompetenzzentren versucht wird. Ich halte es aber für einen Fehlschluss, dass durch einen Verzicht auf gründliche Beratung und Diskussion das Programm besser wird. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk benötigt unterschiedliche Sichtweisen und Blickwinkel auf vielfältige Themen. Das ist sicher anstrengend und zeitaufwendig, entspricht aber einem öffentlich-rechtlichen Qualitätsmaßstab.

medienpolitik.net: Das ZDF ist anders organisiert als die ARD. Ausgehend von den Einschaltquoten liegt das ZDF seit Jahren vor dem Ersten. Also ist die Qualität dort nicht schlechter?

Hammelrath: Das ZDF verfügt beispielsweise über eine etwas andere Programmstruktur als das Erste und erreicht mit einer größeren Anzahl von Krimis auch mehr Zuschauer. Das ist unter anderem auch ein Punkt, mit dem sich der Programmbeirat befasst, wie wir mit anderen Stoffen und Erzählweisen – nicht nur mit Krimis – viele Zuschauer erreichen.

„Ich halte es für einen Fehlschluss, dass durch einen Verzicht auf gründliche Beratung und Diskussion das Programm besser wird.“

medienpolitik.net: Aber die ARD hat auch mit Programm-Highlights, wie zum Beispiel „Davos“, der  teuersten Serie des Schweizer Kooperationspartners SRG, nicht den erhofften Erfolg. „Die Bergretter“ beim ZDF hatten mehr Zuschauer als „Davos“.

Hammelrath: Ich hatte ebenfalls ein besseres Ergebnis erwartet. Man darf aber nicht vergessen, dass die lineare Ausstrahlung heute nicht die alleinige Messlatte ist. „Davos“ hat beispielsweise in der Mediathek viele Zuschauer erreicht, vor allem viele Jüngere. Die ARD-Dokus über Michael Schumacher und Franz Beckenbauer haben in der Mediathek mehr Zuschauer gehabt, als im Ersten. Das bedeutet sowohl für die Inhalte aber auch für den Verbreitungsweg, noch mehr als bisher abzuwägen, welche Stoffe die notwendige Relevanz haben, um von einem öffentlich-rechtlichen Sender produziert zu werden und wie sie verbreitet werden müssen. Neue, experimentelle Formate, die dringend notwendig sind, werden beispielsweise nur auf den digitalen Verbreitungswegen erfolgreich sein. Darauf achten wir auch als Programmbeirat.

medienpolitik.net: Wie verbindlich sind Ihre Anregungen und Empfehlungen für die Programmdirektorin?

Hammelrath: Der Programmbeirat berät zehn Mal im Jahr, in der Regel für zwei Tage. An diesen Treffen nimmt immer ein Vertreter der Programmdirektion, meistens Christine Strobl selbst, teil. In Vorbereitung auf diese Treffen, sehen wir uns, unter bestimmten Schwerpunkten, zahlreiche Sendungen über einen längeren Zeitraum an. Das betrifft beispielsweise Moderatoren, Genres und inhaltliche Ausrichtung. Diese Analysen diskutieren wir dann mit der Programmdirektion und die Ergebnisse werden in Protokollen festgehalten. Zusätzlich trifft sich der Programmbeirat mehrmals jährlich auch mit den Programmdirektoren der Landesrundfunkanstalten, um einzelne Formate oder inhaltliche Fragen kritisch zu bewerten. Dazu zählten in der letzten Zeit das Feiertagsprogramm oder auch die Talk-Shows. Bei bestimmten Themen, die für das Profil des Ersten wichtig sind, treffen wir uns mit den entsprechenden Redaktionen. So haben wir uns ausführlich in Leipzig mit dem KiKA befasst. Wir können der Programmdirektion keine Weisungen erteilen, aber nach meiner Erfahrung fließen viele dieser kritischen Analysen und Bewertungen relativ schnell in die Programmgestaltung des Ersten ein.

medienpolitik.net: Würden Sie bitte ein Bespiel nennen, wo Ihre Kritik Erfolg hatte.

Hammelrath: Wir haben uns sehr intensiv mit dem Feiertagsprogramm, vor allem den Krimis, die an solchen Tagen gesendet werden, befasst. Uns ist aufgefallen, dass einige dieser Sendungen nicht dazu passen, weil dort zu viele Leichen das Bild bestimmen. Wir haben empfohlen, dass auch Krimis vor allem auf die christlichen Feiertage abgestimmt sein sollten. Zudem haben wir vorgeschlagen, dass in der Mediathek die Möglichkeit bestehen muss, an religiösen Veranstaltungen, wie zum Beispiel Gottesdiensten, die in den Bundesländern aufgezeichnet werden, teilzuhaben. Dafür wurde in der Mediathek eine eigene Rubrik eingerichtet.

medienpolitik.net: Sie schildern diesen Entscheidungsprozess als eine sehr intensive und auch zeitaufwendige Debatte. Hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk so viel Zeit, bis es zu Neuem und zu Veränderungen kommt?

Hammelrath: Dieser Druck lastet mit Sicherheit auf den Verantwortlichen aber auch auf den Gremien. Wir wissen wie hoch die Erwartungen in der Bevölkerung sind, dass sich das Programm schneller an die veränderte Mediennutzung anpasst. Aber ein Teil der Kritik an den öffentlich-rechtlichen Angeboten ist ungerechtfertigt und dient nur als Vorwand, ARD, ZDF und Deutschlandradio zu beseitigen. Deshalb müssen wir einen vernünftigen Kompromiss finden, um einerseits mit unserem Programm weiter relevant für die Bevölkerung zu sein und andererseits durch schnelle Reformen die Entscheidungs- und Realisierungswege zu verkürzen. Es wäre doch kontraproduktiv, wenn dabei die Kompetenz und Erfahrung der Mitarbeiter nicht genutzt werden würde. Und das dauert manchmal ein wenig länger, aber den Nutzen hat der Zuschauer. Um hier die Qualität weiter zu verbessern, will der Programmbeirat des Ersten noch enger mit den Programmbeiräten in den Anstalten zusammenarbeiten, ohne den Abstimmungsaufwand zu erhöhen.

medienpolitik.net: Wo sehen Sie gegenwärtig vor allem Änderungsbedarf beim Ersten?

Hammelrath: Die Programmdirektion muss noch mehr als bisher überlegen, welcher Ausspielweg für welchen Inhalt am besten geeignet ist. Die ARD verfügt über einen großen Programmfundus, überwiegend in guter Qualität und Vielfalt, doch wir erreichen nach wie vor zu wenige Jüngere. Das könnte mit einer besseren Programmierung über alle Verbreitungswege und zielgenaueren Produktionen deutlich verbessert werden.

 

 

 

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