Der Auftrag muss neu justiert werden

03. Juli 2023
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Aktuelle Erhebung belegt negative Auswirkungen öffentlich-rechtlicher presseähnlicher Online-Angebote auf die Medienvielfalt

Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net.

Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger hat an die Bundesländer appelliert, den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) neu zu fassen, bevor über die Erhöhung der Rundfunkbeiträge entschieden wird. Hintergrund ist eine von der Verlegerorganisation in Auftrag gegebene Untersuchung. Danach könnten sich 44 Prozent der Befragten private Medienangebote wegen des hohen Rundfunkbeitrags nicht oder weniger leisten als in der Vergangenheit. Die Erhebung zeigt auch, dass 62 Prozent der befragten Nutzer der öffentlich-rechtlichen Online-Portale „immer oder häufig“ Textangebote aufrufen. Bei Videos seien es nur 39 Prozent. Fast 40 Prozent der Befragten würden ihr Nutzungsverhalten ändern und auch digital und gedruckt mehr Presse nutzen, wenn es das öffentlich-rechtliche Textangebot in dieser Form nicht gäbe.

„Dass der Rundfunkbeitrag die Finanzierbarkeit der digitalen und gedruckten Presse so stark beeinträchtigt, ist ein zunehmend existenzielles Problem für unsere Mitglieder“, sagt Stefan Hilscher, Vorstandsvorsitzender des Verbands. Matthias Ditzen-Blanke, ebenfalls Vorstandsvorsitzender des BDZV, weist darauf hin, dass die Umfrage nachweise, dass die Schwerpunktnutzung der öffentlich-rechtlichen Onlineangebote auf Text liege. „Es ist klar, dass durch die Textangebote der öffentlich-rechtlichen Sender ein ungleicher Wettbewerb entsteht, der die Pressevielfalt gefährdet“, warnt Ditzen-Blanke.

„Die Regeln zur Begrenzung des Auftrags der Sender funktionieren nicht“, ergänzt BDZV-Hauptgeschäftsführerin Sigrun Albert. Das gelte insbesondere mit Blick auf die Vorgabe des Medienstaatsvertrags, dass Telemedienangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht presseähnlich sein dürfen. Der BDZV habe sich gemeinsam mit der ARD sehr lange um eine Schlichtung am Beispiel von Radio Bremen und MDR bemüht. Dies sei gescheitert, weil die Auffassungen über den geltenden Rechtsrahmen zu unterschiedlich seien. „Das zeigt doch, dass die Regeln neu gefasst werden müssen“, fordert Albert, „auch um lange Gerichtsverfahren, wie sie derzeit nötig sind, zu vermeiden.“ Derzeit sei der Auftrag nicht klar definiert, was zu vielen digitalen Leseangeboten der öffentlich-rechtlichen Sender führe. „Eine aus Mitteln des Rundfunkbeitrags finanzierte, digitale öffentlich-rechtliche Presse, wie sie heute existiert, haben auch die Länder nie gewollt“, betont Albert.

Der Auftrag ist nicht klar definiert

„Wir teilen die Auffassung, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen hohen Wert für die Gesellschaft hat. Er sollte die privatfinanzierte Presse in dieser Hinsicht ergänzen, nicht aber mit Hilfe öffentlicher Finanzierung gefährden oder gar verdrängen“, resümiert Stefan Hilscher. Matthias Ditzen-Blanke ergänzt: „Ein neu gedachter öffentlich-rechtlicher Rundfunk kann Antworten auf wichtige Zukunftsfragen geben. Zum Beispiel, wie das öffentlich-rechtliche System nicht mehr die Marktchancen und Vielfalt der privaten Presse einschränken würde, sondern die Qualität der hervorragenden Medienlandschaft in Deutschland insgesamt weiter verbessern kann. Das gilt gerade vor dem Hintergrund der uns einenden Herausforderungen in der digitalen Welt. Gerne laden wir die Rundfunkkommission der Länder ein, darüber mit uns zu sprechen.“

Die repräsentative Online-Erhebung wurde von der IFAK Institut GmbH & Co. KG Markt- und Sozialforschung im Mai 2023 durchgeführt; die Ergebnisse beruhen auf einer Befragung von 1.000 Personen über 16 Jahren, die in den drei Monaten vor der Befragung das Internet genutzt haben.

Versorgung mit gedruckten Zeitungen in ländlichen Gebieten notwendig

Seit 1. Mai gibt es im thüringischen Landkreis Greiz für 300 Abonnenten der „Ostthüringer Zeitung“ keine Zustellung ihrer gedruckten Tageszeitung mehr. Dieser Schritt der Funke Medien Thüringen ist leider keine Ausnahme. Weitere Landkreise mussten aus wirtschaftlichen Gründen ebenso reagieren oder beabsichtigen es bis Ende 2023. „Die Zustellkosten haben sich inzwischen so erhöht, dass wir mit den Abos in den Städten diejenigen in den ländlichen Gebieten subventionieren“, erläutert Michael Tallai, Geschäftsführer der Funke Medien Thüringen, diesen außergewöhnlichen Schritt. Bereits im Mai 2020 hat das Beratungsunternehmen Schickler davor gewarnt, dass bis zum Jahr 2025 die Anzahl der zustellgefährdeten Gemeinden in Deutschland ungefähr 40 Prozent aller Gemeinden betragen könnte. In diesen 4.396 Orten leben in Deutschland derzeit über 4,3 Mio. Einwohner, die von einer Zustellung mit der gedruckten Tageszeitung ausgeschlossen werden könnten. In Greiz beginnt sich die Prognose jetzt zu bewahrheiten.

Funke versucht die bisherigen Printabonnenten mit großem Aufwand davon zu überzeugen, zur Digitalausgabe zu wechseln. Wie man hört, ist das sehr schwierig. Aus der Fläche will sich das Medienhaus auf keinen Fall zurückziehen, man wolle auch keine Kreisredaktionen schließen oder Arbeitsplätze abbauen. Das sei definitiv der falsche Weg, „weil wir dadurch unser Produkt beschädigen“, erläutert Tallai.

„Umerziehung“ auf Digital vielfach nicht gewünscht

„Die gedruckte Zeitung als abgeschlossenes Medium und Verbindung zur Welt ist für viele Menschen, insbesondere Ältere, noch immer ein wahnsinnig wichtiges Medium. Und sie haben ein Recht, Informationen so zu beziehen, wie sie dies wünschen.“ Mit diesem Statement machte Sigrun Albert, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), auf den Medientagen Mitteldeutschland 2023 deutlich, was die Herausforderung und gleichzeitig das Dilemma regionaler und lokaler Tageszeitungen ist: Es gilt, die Versorgung gerade der ländlichen Gebiete mit dem gedruckten Zeitungsabo sicherzustellen und dies wirtschaftlich trotz der enormen Kostensteigerungen bei der Zeitungslogistik auch weiterhin stemmen zu können.

Zwar werden digitale Zeitungsangebote immer stärker nachgefragt. Gleichwohl möchten viele der älteren Zeitungsabonnenten nicht auf ihr gedrucktes Exemplar verzichten und sind nicht bereit, auf Digital umzusteigen – trotz vielfacher Bemühungen der Verlage. „Der Kundenwunsch muss unser Leitmotiv sein“, machte Albert deutlich. Ziel sei und bleibe ein qualitativ hochwertiger Journalismus im Lokalen. Dessen Sicherstellung sei aber immer auch eine gesellschaftliche Aufgabe, nicht nur eine rein wirtschaftliche, so Albert.

Zustimmung gab es dafür von SPD-Politiker Helge Lindh, der sich für eine Zustellförderung der lokalen Tageszeitungen stark machte: „Es gibt nun mal Menschen, die sich nicht umerziehen lassen und die weiterhin ihre Informationen über die gedruckte Lokalzeitung beziehen wollen. Daher müssen wir für eine gewisse Übergangszeit ihre Versorgung mit lokaler Berichterstattung sicherstellen. Das sehe ich auch als Aufgabe der Politik“, erläuterte Lindh. Eine seriöse Informationsversorgung im Regionalen sei schließlich Teil der demokratischen Daseinsvorsorge. Lokalpresse schaffe demokratische Teilhabe und Partizipation vor Ort.

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