ARD-Reformvorhaben mit vielen Fragezeichen

29. Juni 2023
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Intendanten stellen die Weichen ins Ungewisse

Von Helmut Hartung, Chefredakteur Medienpolitik.net

„Eine funktionierende Aufsicht, die Einhaltung von anerkannten Compliance-Standards sowie der sparsame und wirtschaftliche Umgang mit Beitragsmitteln sind noch längst keine Reform, sondern Selbstverständlichkeiten, die die Bürgerinnen und Bürger zurecht von öffentlich finanzierten Anstalten erwarten können“, heißt es in einer Resolution der Vorsitzenden der Fraktionen von CSU und CDU in den Landtagen und im Deutschen Bundestag, die am Dienstag in Rostock verabschiedet worden ist. Auch die Anpassung an eine veränderte Mediennutzung müsste eine Selbstverständlichkeit sein für ein System, das im vergangenen Jahr 8,57 Milliarden Euro von den Bürgern erhalten hat und das „alle erreichen“ möchte. Doch die Pressemeldung über die Sitzung der ARD-Intendanten vom 22. Juni erweckt den Anschein, als habe die Arbeitsgemeinschaft unter Führung des SWR-Intendanten Kai Gniffke jetzt plötzlich ihre Reform-DNA entdeckt. Doch der Anschein trügt.

„ARD stellt Weichen für den Reformweg: jetzt wird es konkret“. Abgesehen davon, dass nur sehr wenig Konkretes der Öffentlichkeit mitgeteilt wird, sind die jetzt geplanten Änderungen nicht die erste große Reform innerhalb der ARD, wie der Eindruck entstehen könnte: 1998 erfolgte die Fusion aus Süddeutschem Rundfunk und Südwestfunk zum SWR und 2017 einigten sich die Intendanten unter dem Vorsitz der MDR-Intendantin Karola Wille auf ein Einsparpaket von 2 Milliarden Euro durch eine Begrenzung der Altersbezüge und eine Strukturreform in den Bereichen Verwaltung, Betrieb und Technik. Am 2. Januar startete beim MDR und anderen ARD-Anstalten ein Projekt, das zu diesen 2017 beschlossenen organisatorischen Veränderungen gehört: Die ARD-einheitliche Anwendung eines SAP-Systems für die Verwaltung. Für die ARD-Rundfunkanstalten, das Deutschlandradio und die Deutsche Welle eine Revolution. Seit der Gründung des Nordwestdeutschen Rundfunks 1945 als erste deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, verfügt jeder dieser Sender über ein eigenes System für die Erfassung, Abrechnung und Kontrolle der Finanz- und Personalverwaltung, für Rechnungsbearbeitung, Monatsabschlüsse, Haushaltsplanung, Dienstreisen und Einkäufe. In einem ersten Schritt werden bis 2025 zunächst die Bereiche Finanzen, Controlling, Beschaffung und Dienstreisen harmonisiert. Insgesamt ist geplant, 150 einzelne betriebswirtschaftliche Abläufe zu vereinheitlichen. Anschließend werden die Geschäftsprozesse für Rechte und Lizenzen sowie Personal und Honorare standardisiert. Die Projektkosten betragen 59 Millionen Euro, dagegen stehen Einspareffekte allein in der ersten Phase von knapp 100 Millionen Euro. Ziel sind Shared-Service-Center in denen die Verwaltungsaufgaben an einer Stelle für alle gebündelt werden.

Nun will die ARD anscheinend nach sechs Jahren einen Schritt weitergehen und nicht nur Kompetenzen in der Organisation und Technik bündeln, sondern auch bei inhaltlichen Angeboten. In blumiger, schwülstiger Sprache heißt es im selbstgefälligen Ton der ARD-Pressemeldung“: „Es gibt viel Kompetenz in der ARD – gebündelt wird sie noch stärker. Die Intendantinnen und Intendanten haben beschlossen, bei den drei Themenfeldern Klima, Verbraucher und Gesundheit die Ressourcen in jeweils einem Kompetenzcenter zu fokussieren. Das Kompetenzcenter produziert künftig zentralisiert lineare und digitale Angebote, die von den Landesrundfunkanstalten übernommen werden können. Bei Kompetenzcentern liegt der Schwerpunkt auf überregionaler Berichterstattung. Damit entstehen mehr publizistische Exzellenz und mediale Wirksamkeit.“ Diese Kompetenzcenter sind, wenn sie Kosten sparen und auch den Personalbedarf reduzieren ein richtiger Weg, um mit dem Beitrag besser zu wirtschaften. Doch welchen ökonomischen Effekt bringen sie? Welche Einsparungen sind dadurch möglich?

„Die ARD drückt sich vor konkreten Zahlen und gefällt sich in Allgemeinplätzen.“

Auch bei der digitalen Transformation sind Reformen geplant, zum Beispiel beim Aufbau von Empfehlungs- und Personalisierungsdiensten oder dem Management der unterschiedlichen Inhalte. Das Projekt bestehe aus 18 Bausteinen (Modulen) und sei auf mehrere Jahre angelegt, heißt es. „Im Rahmen der digitalen Erneuerung der ARD wird eine gemeinsame technische Infrastruktur für alle Landesrundfunkanstalten geschaffen, die auch auf die Zusammenarbeit mit dem ZDF bei dem gemeinsamen Streaming-Netzwerk einzahlt.“ Zum einen wird weder mitgeteilt, bis wann die Umsetzung erfolgen soll, was es kostet und wie die ARD diese zusätzlichen Kosten aufbringen will. Es ist bekannt, dass dafür 330 Millionen zusätzlicher Bedarf bereits angemeldet sind. Warum werden diese Mittel nicht an anderer Stelle eingespart? Zum anderen ist die Rede von einer „gemeinsamen technische Infrastruktur für alle Landesrundfunkanstalten“. Die ist sicher längst notwendig. Aber noch dringender ist eine gemeinsame technische Basis mit dem ZDF. Die Länder wollen beide öffentlich-rechtliche Sendergruppen im nächsten Medienänderungsstaatsvertrag zu einer gemeinsamen Mediathek zwingen, gegen die sich vor allem das ZDF sträubt. Warum fängt die ARD wieder etwas alleine an zu entwickeln, was einer der wichtigsten Eckpunkte der Digitalstrategie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein soll? Wann schafft man endlich dafür eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem ZDF?

Interessanterweise fehlt bei der Auflistung vom 22. Juni das mehrfach genannte Mantelprogramm für alle Dritten. Auch das würde Kosten sparen. Dafür heißt es nebulös in der SWR-Pressmeldung: „In den Dritten Programmen, den eigenen TV-Programmen der ARD Medienhäuser, wird es ebenfalls definierte inhaltliche Kooperationen und Pool-Lösungen geben. So werden im ersten Schritt Beiträge für Gesundheits- und Verbraucher-Magazine künftig vorrangig im jeweiligen Kompetenzcenter produziert und den ARD Medienhäusern zur Verfügung gestellt.“

Warum sind diese Reformvorhaben nicht bereits bei der Bedarfsanmeldung eingeflossen? Die ARD drückt sich vor konkreten Zahlen und gefällt sich in Allgemeinplätzen. Warum? Haben die Intendanten Angst, dass die KEF diese möglichen Einsparungen berücksichtigt? Aber die Finanzkommission rechnet bekanntlich sowieso mit spitzer Feder alles nach. Wie ernst ist es um die Aussagen der ARD also bestellt, effizienter und kostengünstiger zu wirtschaften? Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass dieses Reformpaket keine Auswirkungen auf die Festlegung des Rundfunkbeitrages ab 2025 haben wird: Zu unkonkret, zu nebulös zu wenig ambitioniert.

Seit Monaten drängen die Öffentlichkeit und Politiker die öffentlich-rechtlichen Anstalten Pläne vorzulegen, die die Kosten für Verwaltung, Produktion und Personal so reduzieren, dass der Rundfunkbeitrag ab 2025 nicht erhöht werden muss. Die öffentlich-rechtlichen Medien müssen ebenso wie die privaten Medienunternehmen umfassende digitale Veränderungen bewältigen. Das erfordert Kosten und personellen Aufwand. Dafür stehen ARD, ZDF und Deutschlandradio jährlich zehn Milliarden Euro zur Verfügung, die sie per Gesetz erhalten und nicht am Markt verdienen müssen.

„Wir sind der Auffassung“, bekräftigen die CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden in Rostock, „dass sich der gesetzliche Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks damit umfassend erfüllen lässt. Aus heutiger Sicht erscheint eine Anhebung des Rundfunkbeitrages ab 2025 politisch nicht vermittelbar.“ Die Union regiert in neun Bundesländern mit.  

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