Die bessere Stimmung bedeutet nicht, dass die Kino-Welt wieder in Ordnung ist

07. Juni 2023
Christine Berg, Vorstand HDF Kino
Christine Berg, Vorstand HDF Kino
Kinobetreiber fordern von der FFG-Novellierung eine Verbesserung der Verleihförderung

Interview mit Christine Berg, Vorstand HDF Kino

„Die Stimmung ist gut, da die Kinos in diesem Jahr weiter ihr Publikum zurückholen konnten. Im letzten Jahr haben wir bereits 70 Prozent unserer Besucher für das Erlebnis Kino begeistern können, nach den ersten Monaten sieht es so aus, als wenn wir 2023 noch mehr Besucher empfangen werden“, so Christine Berg, HDF Kino- Vorstand im Gespräch mit medienpolitik.net. Das bedeute jedoch nicht, dass die Kino-Welt wieder in Ordnung sei, sagt sie. Die Kinos benötigten weiter finanzielle Unterstützung sowohl für den energetischen Wandel, um künftig CO²-neutral zu werden als auch die Weitere Modernisierung der Kinoeinrichtung. Dafür fordert Berg Bundesregierung zum einen eine Verschmelzung von FFA-Mitteln mit dem Zukunftsprogramm Kino aus dem Staatsministerium für Kultur und Medien zu einem gemeinsamen Fonds und zum anderen. Fördermittel vom Bundeswirtschaftsministerium für die klimaneutrale Umrüstung. Allein bei der Modernisierung der Einrichtung existiere ein Investitionsstau von 370 Millionen Euro. Auch in den Bundesländern müsse die Filmförderung, die bei der Kinoförderung „eher zurückhaltend“ seien, stärker auf die Kinoauswertung ausgerichtet werden. 

medienpolitik.net: Frau Berg, wie ist die Stimmung der Kinobetreiber nach drei Corona-bedingten Pandemiejahren, zuzusagen zur Halbzeit 2023?

Berg: Die Stimmung ist gut, da die Kinos in diesem Jahr weiter ihr Publikum zurückholen konnten. Im letzten Jahr haben wir bereits 70 Prozent unserer Besucher für das Erlebnis Kino begeistern können, nach den ersten Monaten sieht es so aus, als wenn wir 2023 noch mehr Besucher empfangen werden. Und ich werde nicht müde, der Politik zu danken, denn ohne die Hilfen in der Lockdownzeit wäre das nicht möglich gewesen.

medienpolitik.net: Jetzt kommen aber auch noch höhere Energie, Personalkosten und Concessionskosten dazu. Wie ist das zu verkraften?

Berg: Die bessere Stimmung bedeutet nicht, dass die Kino-Welt wieder in Ordnung ist.Wir sehen uns seit letztem Jahr mit einer Kostenexplosion konfrontiert und auch unser Publikum muss mit der hohen Inflation klarkommen und überlegt, wo es sparen kann. Deshalb gibt es bei den Kinobetreibern auch viele Aktivitäten, um dennoch noch mehr Besucher in ihre Häuser zu locken. Es ist keine einfache Zeit, aber Kino gibt es seit 127 Jahren und hat schon viel durchgemacht. So leicht lassen sich die Kinobetreiber nicht unterkriegen. Ihnen macht dabei Mut, zu sehen, dass die Menschen wieder Filme im auf der großen Leinwand erleben möchten.

medienpolitik.net: Die Ticketpreise sind gestiegen. Wird die Kinokarte teurer als ein Theaterticket?

Berg: Die Eintrittspreise sind gestiegen, aber in Relation zu den hohen Kosten nur leicht. Für einige Filme wie „Avatar“ in 3D waren die Tickets durch Überlänge und 3D Aufschlag teurer. Aber die Kinos machen auch unterschiedliche Preisangebote, so sind die Preise in der Woche günstiger als am Wochenende, wenn der Film bereits länger gespielt wird, ist es auch preiswerter als beim Start. Zudem existieren Familientarife, Vorteilsangebote und sogar Freikarten mit entsprechenden Bonuscards. Die Kinobetreiber bieten das, weil Kino für sie Kultur für alle bedeutet. Es soll preislich auch weiterhin ein niederschwelliges Kulturangebot bleiben, vor allem in den ländlichen Gebieten. Das ist auch gesellschaftlich relevant.

„Ich würde mir beispielsweise wünschen, dass die ARD einmal wöchentlich vor der ‚Tagesschau‘ einen deutschen Kinofilm bewirbt.“

medienpolitik.net: Das klingt wie ein Appell an die Politik, die Kinos dabei noch stärker zu unterstützen.

Berg: Unsere Forderungen an die Bundesregierung konzentrieren sich vor allem auf zwei Felder: Das erste ist der energetische Wandel, um künftig CO²-neutral zu werden und das zweite ist die Modernisierung der Kinoeinrichtung. Für die Energiesanierung sind erhebliche Investitionen erforderlich. Die neueste Generation an Projektoren sind beispielsweise Laserprojektoren, mit denen bis zu 70 Prozent Energie gespart werden kann. Ein solcher Projektor – für einen Saal – kostet bis zu 70.000 Euro. Dazu kommen die Installationskosten. Viele Häuser planen u.a. auch die Ausrüstung auf Photovoltaikanlagen. Das alles können die meisten Kinos nicht aus eigener Kraft leisten. Dafür benötigen wir beispielsweise eine Förderung durch das Wirtschaftsministerium, wo für die Energiewende Geld bereitsteht.

medienpolitik.net: Vor einigen Jahren, als die Kinos digitalisiert werden sollten, wurde eine Art Sonderfonds aus verschiedenen Quellen eingerichtet. Ist eine Bündelung der Förderung in einem solchen Fonds auch jetzt wieder nötig?

Berg: Das ist ja der Weg, den Frau Roth angekündigt hat: Die FFA- und BKM-Förderung zusammen zu legen. Wir begrüßen das auch für die Kinoförderung sehr, denn wir haben Die Pandemie hat dazu geführt, dass man sich jetzt u.a. eine Ausstattung mit breiteren Sitzen und Wegen wünscht, um die Lichtspielhäuser auch bei einer möglichen künftigen Pandemie geöffnet halten zu können. Dazu müssen auch die Foyers umgebaut werden. Deshalb ist unsere Forderung, dass eine Verschmelzung von FFA-Mitteln mit dem Zukunftsprogramm Kino aus dem Staatsministerium für Kultur und Medien zu einem gemeinsamen Fonds erfolgt. Die zweite Fördersäule muss aus Mitteln für die klimaneutrale Umrüstung bestehen. Hier erwarten wir die Unterstützung vor allem vom Bundeswirtschaftsministerium.   

medienpolitik.net: Damit erwarten Sie von den Ländern anscheinend keine bessere Unterstützung für die Kinos?

Berg: Doch.Einewirksame Hilfe für die Kinolandschaftist nur das Resultat eines sinnvollen Zusammenspiels zwischen den Ländern und den Einrichtungen auf Bundesebene. Bisher sind die Förderinstitutionen, die zwischen Kiel und Saarbrücken existieren, bei der Kinoförderung eher zurückhaltend und fördern die Film- und Fernsehproduktion vorrangig. Wir benötigen natürlich eine starke Produktionslandschaft, mit guten deutschen Filmen. Aber zu viele Filme mit unzureichender Abspielmöglichkeit ist für alle Beteiligten unwirtschaftlich. Das Kino ist nach wie vor die profitabelste Verwertungsmöglichkeit für den Spielfilm. Und ein Bahnunternehmen, das zwar Züge besitzt, aber über kein ausreichendes Schienennetz verfügt, wäre ebenso widersinnig. Deshalb muss die Filmförderung, auch in den Ländern, künftig stärker auf die Kinoauswertung ausgerichtet werden. 

medienpolitik.net: Es gibt für das neue FFG Vorschläge von Produktionsverbänden, u.a. weniger Filme mit mehr Geld auszustatten und die Förderung stärker zu automatisieren. Ist das der Königsweg für bessere deutsche Filme?

Berg: Das ist aus meiner Sicht der richtige Weg, auch für die Kinos. Doch ebenso wichtig ist es, dass der Fokus der Förderung auf dem Kinofilm liegt und nicht allgemein auf „audiovisuellen Werken“. Der Kinofilm ist immer noch die Königsdisziplin, für ihn müssen sich die Bedingungen verbessern. Alle anderen Auswertungsstufen profitieren vom Kinostart und deshalb gehört er in das Zentrum der Filmförderung.

medienpolitik.net: Sie wollen wieder 35 Millionen Zuschauer für den deutschen Film pro Jahr erreichen. Welche Rolle spielt dabei der Film?

Berg: Die Kinos können noch so modern und attraktiv ausgestattet sein, aber ohne einen guten Film nützt das gar nichts. Für die Kinobetreiber ist der deutsche Kinofilm so wichtig, auch weil er uns von den amerikanischen Studios unabhängiger macht und Themen aufgreifen kann, die unsere Bevölkerung bewegen. Aber um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, müssen die verschiedenen Akteure der Branche enger zusammenwirken, um auf deutsche Filme aufmerksam zu machen. So planen die Kinos verstärkt Events unter dem Motto „DEIN KINO. DEIN STAR.“, bei denen bekannte Regisseure und Schauspieler ihre Filme vorstellen. Solche Kooperationen sind natürlich auch mit den TV-Sendern möglich. Ich würde mir beispielsweise wünschen, dass die ARD einmal wöchentlich vor der „Tagesschau“ einen deutschen Kinofilm bewirbt.  

medienpolitik.net: Aber die Sender werben doch bereits kostenlos für Kinofilme…

Berg: Das könnte aber noch ausgebaut werden und wir müssen insgesamt intensiver darüber in den Dialog treten, wie sich verschiedene Bereiche der deutschen Filmwirtschaft besser unterstützen können, damit alle profitieren. Ein Mehr an Fördergeldern kann nur ein Aspekt sein, um unsere Branche zu stärken. Wir müssen aber auch stärker überlegen, was der eine für den anderen leisten und was man zusammen gestalten könnte. Nur gemeinsam können wir die Anziehungskraft deutscher Kinofilme erhöhen und mehr Menschen bewegen ins Kino zu gehen. Von der Multiplikationswirkung würden auch die Sender profitieren.

„Bei den Streamingplattformen fordert keiner eine Verkürzung, obwohl die Exklusivität dort weitaus länger als 120 Tage beträgt, weil diese Unternehmen um den Wert ihrer Angebote wissen und diesen auch schützen.“

medienpolitik.net: Die Produzenten beklagen, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus der Kino-Koproduktion immer mehr zurückzieht. Sie fordern jetzt mehr Engagement für den deutschen Film insgesamt. Schnüren Sie ein Kinopaket für die TV-Sender?

Berg: Ja,denn die Förderung der Kinoinfrastruktur, eine zielgerichtete Unterstützung für die Herstellung der Filme und eine bessere Verankerung deutscher Filmkultur in der Öffentlichkeit gehören zusammen. Es ist nicht ganz einfach, dieses Konzept im Alltag umzusetzen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Es erfordert viele Gespräche in der Branche und der Politik und einen langen Atem. Und sicher muss eine Pflicht zur Kooperation auch Eingang in die nächste FFG-Novelle finden, denn die Branche kann nicht alles allein aushandeln. Sie benötigt, wie alle wirtschaftlichen Bereiche, klare Regeln und politische Rahmenbedingungen. Und diese enthält das Filmförderungsgesetz. Und weil sich der Markt radikal verändert, benötigen wir dringend eine Neufassung.

medienpolitik.net: Bestimmt haben Sie auch Forderungen, was diese Neufassung aus Sicht der Kinobetreiber enthalten sollte:

Berg: Wir wünschen uns eine Verbesserung der Verleihförderung. Die Filme müssen besser beworben werden, damit unser Publikum auf sie aufmerksam wird. Wie bereits angedeutet, muss es eine Kinoförderung auf Bundesebene aus einer Hand geben, die für alle Kinos zugänglich ist. Zudem sollte die sogenannte Erlassregelung neu gestaltet werden. Hier geht es um die Erweiterung der Möglichkeit, ein Darlehen erlassen zu bekommen, um dieses Geld neu investieren zu können. Dringend wäre auch eine bessere Dispositionsmöglichkeit von Filmen, die durch die FFA oder die BKM gefördert werden. Den Kinos muss die Entscheidung überlassen werden, zu welchem Zeitpunkt sie den Film spielen. Das ist bisher nicht der Fall.

medienpolitik.net: In einer Brancheninitiative wurde kürzlich, auf Initiative des HDF Kino vereinbart, dass der nach dem FFG geförderte, deutsche Kinofilm künftig bereits nach vier Monaten und damit zwei Monate früher als momentan, den weiteren, künftig flexibler gestaltbaren Auswertungsstufen zugeführt werden kann. Was haben die Kinos von dieser Lösung?

Berg: Wir freuen uns sehr,dass es nach intensiven Gesprächen zu dieser Lösung gekommen ist, den deutschen Kinofilm zukunftssicherer zu machen. Auf den ersten Blick ist die Vereinbarung ein schlechtes Ergebnis für die Kinos: statt 180 Tage Exklusivität nur noch 120 Tage. Auf den zweiten Blick ist sie aber auch für uns von Vorteil. Es gibt seit Jahren, auch seitens der Politik, immer wieder die Forderung, die Sperrfristen zu verkürzen, teilweise bis unter 90 Tage. Wir haben diese Alarmsignale aufgenommen und uns bemüht, eine Regelung unabhängig von der Politik zu finden. Auch aufgrund schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit konnten wir nicht sicher sein, ob eine politische Lösung für die Kinos von Vorteil ist. Die Branchenvereinbarung bringt uns für die nächsten drei Jahre Verlässlichkeit und Planbarkeit, auch über ein mögliches neues FFG hinaus. Wir können jetzt sicher sein, dass diese 120 Tage nicht angegriffen und infrage gestellt werden. Die Branche hat sich dazu bekannt. Damit ein Spielfilm seine Wertigkeit behält, muss er vier Monate im Kino sichtbar sein. Damit bieten wir auch dem Publikum die Gewissheit, dass ein Film für eine längere Zeit im Kino zu sehen ist.

Ich bin immer wieder erstaunt, dass die Sperrfristen als ein „Kinoproblem“ dargestellt werden. Bei den Streamingplattformen fordert keiner eine Verkürzung, obwohl die Exklusivität dort weitaus länger als 120 Tage beträgt, weil diese Unternehmen um den Wert ihrer Angebote wissen und diesen auch schützen. Nur so können sie ihre Abonnenten halten. Wenn ein Film oder eine Serie bereits kurze Zeit später im Free TV laufen würden, würden sie an Attraktivität verlieren. Diese Situation betrifft alle Verwerter, doch nur die Kinos müssen um ihre Rechte kämpfen. Wir sehen deshalb die Branchenvereinbarung als einen großen Erfolg für die Bemühungen des HDF KINO, auch schwierige Fragen im gemeinsamen Dialog mit der gesamten Filmbranche zu lösen. 

Zur Übersicht