Der Weg zur ganzheitlichen Medienaufsicht

21. Dezember 2023
Dr. Wolfgang Kreißig
Dr. Wolfgang Kreißig
Staatsferne deutsche Medienanstalten im Wandel

Von Dr. Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten und Präsident der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK)

Der Medienstaatsvertrag, der Digital Services Act und der EMFA haben große Veränderungen mit sich gebracht. Kreißig unterstreicht die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes, der Online-Überwachung und internationale Zusammenarbeit einschließt, um Medien- und Meinungsvielfalt zu sichern. Er hebt zudem die Bedeutung von Medienkompetenz und die Stärke der föderalen Struktur hervor, um effektiv auf komplexe, nationale und europäische Herausforderungen zu reagieren. Der scheidende DLM-Vorsitzende Dr. Wolfgang Kreißig blickt auf vier Jahre Medienaufsicht zurück.

Angesichts des sich stetig verändernden Mediennutzungsverhaltens und zunehmend komplexerer Wirkmechanismen in der Medienbranche stellt sich die Frage, wie die medienrechtlichen Ziele wie Medien- und Meinungsvielfalt innerhalb der föderalen Struktur nachhaltig erreicht werden können. Dabei liegt die Lösung nicht in der Fokussierung nur eines einzelnen Aufgabenfeldes, sondern in einem ganzheitlichen Regulierungsansatz. Im Kern geht es damit um Aufsicht, Forschung, die Vermittlung von Medienkompetenz und um Förderung. Nachfolgend sollen einzelne signifikante Aspekte der Arbeit der Medienanstalten dargestellt werden.

Aufsicht mit neuem Fokus

Schwerpunkte in der Aufsichtspraxis der Medienanstalten müssen sich entlang der Entwicklung der Medien und der Mediennutzung dynamisch verändern. Dies haben die Ländergesetzgeber mit dem im November 2020 in Kraft getretenen Medienstaatsvertrag gesetzlich nachvollzogen. Beispiele hierfür sind die Novellierung der Regelungen zur Rundfunkzulassung sowie die Einführung neuer Regulierungsadressaten zur Vielfaltssicherung. Bei der Rundfunkzulassung ging es anfangs um eine zielgerichtete Steuerung des Auf- und Ausbaus und der Entwicklung der privaten Rundfunklandschaft über den Zugang zur Frequenz-Infrastruktur. Mittlerweile misst der Gesetzgeber der Zulassung angesichts kaum noch knapper Verbreitungsressourcen keine entsprechend hohe Steuerungsfunktion in Bezug auf die Vielfaltsgewährung mehr zu. Daher wurde im Verlauf der Verhandlungen zum MStV sogar die vollständige Aufgabe einer präventiven Lizenzierungspflicht zugunsten einer Anzeigepflicht mit Zulassungsfiktion und einer abgeschwächten nachgelagerten Kontrolle in Erwägung gezogen. Letztlich beließ es der Gesetzgeber bei der Zulassung, schwächte sie aber ab. Nunmehr bedürfen wenig meinungsrelevante Rundfunkangebote und Angebote unterhalb der Schwelle von 20.000 gleichzeitigen Nutzerinnen und Nutzern im Durchschnitt von sechs Monaten keiner vorherigen Zulassung mehr. Demgegenüber fokussiert sich die Aufsicht der Medienanstalten nun stärker – aber nicht ausschließlich – auf den Bereich der neuen Regulierungsfelder. Mit dem Inkrafttreten des Medienstaatsvertrags sind den Medienanstalten neue und gewichtige gesetzliche Aufgaben zugewachsen. Ganz erheblich ausgebaut wurde hierbei die Plattformregulierung, die nun erstmals auch Vorgaben für Intermediäre und Benutzeroberflächen formuliert und damit die Regulierung globaler Player wie Google und Meta, aber auch von TV-Geräte- und Kfz-Herstellern sowie Sprachassistenten mit umfasst. Nachdem die hierzu neu erlassenen Satzungen nun schon seit einiger Zeit erstellt und in Kraft sind, geht es nun um die nachhaltige Umsetzung des Medienstaatsvertrags. Dazu sind wir vor allem mit den neu Regulierten im Austausch und beobachten systematisch in allen Bereichen den Stand der Umsetzung. Im Feld der Intermediäreregulierung oder bei der Aufsicht über journalistisch-redaktionelle Telemedien wurden bereits Verfahren geführt, wovon einige noch bei Gericht anhängig sind. Die Public Value-Regulierung ist dagegen erst ein knappes Jahr später als der übrige Medienstaatsvertrag in Kraft getreten, wobei das Bestimmungsverfahren bis zur Veröffentlichung der Public Value-Listen selbst längere Zeit in Anspruch genommen hat. Hier sind wir deshalb noch nicht ganz so weit. Aber auch hier stehen nun aufsichtsrechtliche Maßnahmen an, soweit die Vorgaben für Benutzeroberflächen nicht eingehalten sind.

Grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung

Es ist aber nicht nur der Medienstaatsvertrag, der neue Aufgaben für die Medienregulierung geschaffen hat, sondern auch der Digital Services Act (DSA) und der gerade erst beschlossene European Media Freedom Act (EMFA) auf europäischer Ebene. Der DSA ermöglicht es den nationalen Regulierungsbehörden wegen illegaler Inhalte ein DSA-Verfahren unmittelbar gegenüber den Plattformen auch mit Sitz im EU-Ausland einzuleiten. Im Zuge des Nahost-Konflikts haben die Medienanstalten auf eine entsprechende Bitte der Europäischen Kommission hin Rechtsverstöße aber auch schon unmittelbar an die Europäische Kommission gemeldet. Denn nur auf Basis belastbarer Fälle, aus denen Schlussfolgerungen gezogen werden können, kann die Europäische Kommission in ihrer neuen Funktion als Aufsichtsorgan über sehr große Online-Plattformen wegen etwaiger systematischer Verstöße gegen die Bestimmungen des DSA vorgehen. Diese Verstöße setzen eine inhaltliche Einzelprüfung voraus und können daher nur von den staatsfernen und unabhängigen Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten geliefert werden. Die Medienanstalten haben seit Oktober 2023 für Deutschland über 600 Fälle und damit EU-weit ca. 90% aller Fälle an die EU-Kommission gemeldet. Auch auf der europäischen Ebene ist man also auf die Arbeit der Medienanstalten und der anderen nationalen Regulierungsbehörden angewiesen, weshalb es richtig ist, dass diese hervorgehobene Rolle der Medienanstalten nun auch im aktuellen Regierungsentwurf des Digitalen-Dienste-Gesetz des Bundes (DDG) zur Umsetzung des DSA in Form der Benennung der Medienanstalten als sektoral zuständige Behörden seinen Ausdruck gefunden hat.  

Effiziente und praxisgerechte Lösungen durch dialogorientierte Aufsicht

Angesichts der Vielzahl an medienrechtlichen Verstößen im Netz ist ein effizientes Vorgehen der Medienaufsicht von großer Relevanz. Hierbei nutzen die Medienanstalten ihr Handlungsermessen im Aufsichtsbereich. Gerade in den neuen Regulierungsbereichen und mit Blick auf sich neu entwickelnde Branchen und junge und unerfahrene Regulierungsadressaten, wie etwa im Bereich des Influencer-Marketings, werden anfangs auch formlose Hinweisschreiben im Vorfeld aufsichtsrechtlicher Verwaltungsverfahren zum Einsatz gebracht. Damit können wir in einem ersten Schritt durch eine niederschwellige Ansprache für die geltenden medienrechtlichen Anforderungen sensibilisieren, erreichen damit aber in den meisten Fällen auch eine zügige und rechtskonforme Anpassung des betroffenen Angebots. Gleichzeitig gelingt es, auf diesem Weg eine hohe Akzeptanz für die Regulierung zu erzielen. Dieses Vorgehen wird zusätzlich begleitet durch Veröffentlichung von Leitfäden oder FAQ der Medienanstalten. Mit der dialogorientierten Aufsicht werden die Ziele der Medienregulierung gerade in jungen Regulierungsfeldern erreicht, ohne dass in jedem Fall aufwändigere Aufsichtsverfahren durchgeführt werden müssen. Bleiben die Hinweisschreiben erfolglos oder es handelt sich um wiederholte oder schwerwiegende Verstöße werden medienrechtliche Verwaltungs- und Bußgeldverfahren eingeleitet. So hat sich die Anzahl der Entscheidungen über Verstöße von Influencerinnen und Influencern in 2023 gegenüber dem Vorjahr verdreifacht. Im dritten Jahr der Werbeaufsicht über bundesweit ausgerichtete Telemedien hat die ZAK in 12 Entscheidungen die fehlende Trennung von Programm und Werbung festgestellt und davon in sechs Fällen neben der medienrechtlichen Beanstandung ein Bußgeld im Ordnungswidrigkeitenverfahren verhängt. Eine dialogorientierte Aufsicht bedeutet aber auch, dass wir etwa im Rahmen eines Satzungsprozesses oder anlassbezogen einen frühzeitigen Austausch mit der Branche suchen, um praxisgerechte Lösungen zu entwickeln. Beispiele für Letzteres sind etwa Fragen zur technischen Umsetzung rechtlicher Anforderungen, wie z.B. bei der Automatisierung von Werbekennzeichnungen auf Social Media oder zur Umsetzung technischer Jugendmedienschutzlösungen. Dies ermöglicht der Aufsicht, ein tieferes Verständnis von Geschäftsmodellen, Risiken und Herausforderungen zu entwickeln.

Forschung und Medienkompetenz werden immer wichtiger

Ein zielgerichtetes und effektives Vorgehen der Medienaufsicht setzt unabhängige Forschung über im Medienbereich äußerst dynamische Wirkmechanismen im Markt und im Mediennutzungsverhalten voraus. So hat unsere aktuelle Mediengewichtungsstudie aufgezeigt, dass das Internet mittlerweile das Informationsmedium Nr. 1 ist und damit nun vor dem Fernsehen und den Tageszeitungen liegt. Aus solchen Ergebnissen unabhängiger Studien der Medienanstalten lassen sich sowohl für die Aufsicht als auch für die zielgerichtete Vermittlung von Medienkompetenz unmittelbar wichtige Schlüsse ziehen. Das Bundesverfassungsgericht begründet die Relevanz der Medienkompetenz mit Verweis auf eine veränderte Mediennutzung, die herkömmliche Filter professioneller Selektion und durch verantwortliches journalistisches Handeln in den Hintergrund treten lasse. Der Nutzende sei zunehmend gefordert, selbst die Verarbeitung und die massenmediale Bewertung zu übernehmen, um etwa zwischen Fakten und Meinung, Inhalt und Werbung zu unterscheiden sowie die Glaubwürdigkeit von Quellen und Wertungen einzuschätzen. Die verfassungsrechtlichen Zielsetzungen als Ausfluss aus der Rundfunkfreiheit, nämlich die Sicherung von Meinungsvielfalt oder der Jugendmedienschutz, lassen sich praktisch nur noch dann zuverlässig und nachhaltig zu erreichen, wenn auf der einen Seite eine schlagkräftige Medienaufsicht stattfindet, auf der anderen Seite die einzelnen Nutzerinnen und Nutzer aber auch hinreichend medienkompetent sind. Dasselbe gilt für den Bereich des Jugendmedienschutzes, in dem es darum geht, Kinder und Jugendliche zu sensibilisieren und resilienter zu machen, indem ihnen und ihren Erziehungsberechtigten Handlungsoptionen nahegebracht werden. Angebote der Medienanstalten im Bereich der Medienkompetenzvermittlung nehmen hier in vielen Fällen eine wichtige Vorreiterrolle ein.

Förderale Struktur der Medienaufsicht als Stärke

Mit den gemeinsamen Kommissionen ZAK, KEK und KJM wird schon seit Langem eine bundesweit einheitliche Rechtsanwendung gewährleistet und gleichzeitig der Tatsache Rechnung getragen, dass durch technische Fortentwicklungen und durch neue, überwiegend national agierende Regulierungsadressaten ein zunehmender Bedarf besteht, nationale Sachverhalte einheitlich durch ein zentrales Organ entscheiden zu können. Mit dem Inkrafttreten des Medienstaatsvertrags haben die Medienanstalten ihre Arbeitsweise weiter optimiert, um die Aufgaben mit den bereitstehenden Mitteln noch effizienter umzusetzen und Synergien zu heben. Wichtige Zukunftsthemen wurden im Kreis der DLM personell klar zugeordnet und anstaltsübergreifende agile Arbeitsgruppen geschaffen, um die oder den Themenverantwortlichen bei der Arbeit zu unterstützen. Dadurch gelingt es, die einzelnen Themenbereiche fachlich aktiv voranzutreiben, die föderalen Ressourcen effizienter zu nutzen und gleichzeitig spezifisches Know-how in einem Kreis von Mitarbeitenden aus den Häusern aufzubauen. Gleichzeitig findet ein Know-how-Transfer zurück in alle Häuser, etwa durch zusätzliche Workshops statt, sodass jede einzelne Landesmedienanstalt von der Arbeit in den Arbeitsgruppen profitieren kann.

Die Medienanstalten haben sich aber nicht nur strukturell, sondern auch technologisch zeitgemäß aufgestellt. Durch den Einsatz eines von der Landesanstalt für Medien NRW entwickelten KI-Tools zur automatisierten Erfassung von Verstößen im Netz haben wir an Schlagkraft gerade im Bereich von Hass und Hetze im Netz gewonnen. So sind wir nunmehr in der Lage, in kürzester Zeit Rechtsverstöße im Bereich des Jugendmedienschutzes im Netz zu finden und die entsprechenden nationalen oder nun auch europäische Aufsichtsverfahren einzuleiten. Auf nationaler Ebene kommt eine verbesserte Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt und den Strafverfolgungsbehörden dazu. Die Medienanstalten melden Verstöße jetzt zentral an das Bundeskriminalamt, das wiederum die Absender der illegalen Inhalte ermittelt und die Fälle an die zuständigen Staatsanwaltschaften verteilt. Diese Zusammenarbeit ermöglicht einen höheren Verfolgungsdruck und damit auch eine Reduzierung rechtswidriger Inhalte.

Die Tatsache, dass nach Ausbruch des Nahost-Konflikts ca. 90 Prozent aller EU-weit an die EU- Kommission gemeldeten Rechtsverstöße auf Plattformen von den Medienanstalten kamen ist nur ein Beispiel dafür, dass es keine Evidenz dafür gibt, dass zentrale nationale oder europäische Strukturen per se erfolgreicher arbeiten als föderale Institutionen. Auf Bundesebene hat man in den letzten Jahren mehrere zentrale Behörden als Aufsichtsorgane eingesetzt wie das Bundesamt für Justiz zur Durchsetzung des NetzDG oder die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz im Bereich des Jugendschutzgesetzes, die den Beweis für eine schlagkräftige Aufsicht bislang schuldig geblieben sind. Die Medienanstalten zeigen, dass die föderale Struktur Handlungs- und Durchsetzungsstärke entfaltet, wenn sie die richtigen Aufsichtsinstrumente und passende rechtliche sowie finanzielle Rahmenbedingungen zur Verfügung hat. Und nicht zuletzt steht die föderale Struktur für mehr Vielfalt und Unabhängigkeit.   

Den detaillierten Abschlussbericht des DLM-Vorsitzes finden Sie auf der Webseite der Medienanstalten: https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/die_medienanstalten/Ueber_uns/Organisation/GK_Schlussberichte/Schlussbericht_2020-2023.pdf sowie weitergehende Ausführungen zur Entwicklung der Medienanstalten aus rechtlicher Perspektive in dem Artikel von Dr. Wolfgang Kreißig "Die Medienanstalten im Wandel – ganzheitliche Medienaufsicht im digitalen Zeitalter" erschienen in AfP, vol. 54, no. 3, 2023, pp. 199-206. https://doi.org/10.9785/afp-2023-540304.

 

Zur Übersicht