
Fragen an Michael Tallai, Geschäftsführer Funke Medien Thüringen und David Koopmann, Vorstand der Bremer Tageszeitungen AG
Funke Medien Thüringen hatte im Oktober 2022 mit der Bremer Tageszeitungen AG und der Nordseezeitung GmbH wegen presseähnlicher Angebote auf Online-Seiten von ARD-Anstalten Beschwerde bei der gemeinsamen Schlichtungsstelle von ARD und BDZV eingereicht. Bisher ohne Ergebnis. Mit diesen Textinformationen störten die öffentlich-rechtlichen Sender das Kerngeschäft der Verlage massiv und machten Bemühungen um digitale Abonnenten schwieriger, heißt es aus den Medienhäusern. Zum Schutz der Zeitungen sei im Medienstaatsvertrag auch ein Verbot von presseähnlichen Angeboten verankert. „Die Festlegungen im Telemedien-Staatsvertrag sind ausreichend, wenn sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk daran halten würde“, sagt Michael Tallai, Geschäftsführer Funke Medien Thüringen. David Koopmann, Vorstand der Bremer Tageszeitungen AG bereitet das regionale Angebot von Radio Bremen große Sorgen, weil bisherige Abonnenten abwägen, ob Ihnen das, was dort mit täglich kostenlos geboten werde – da sie den Rundfunkbeitrag bereits bezahlt hätten – ausreiche oder ob sie die Mehrinformation, die unsere Zeitungen bieten, benötigten.
Michael Tallai, Geschäftsführer Funke Medien Thüringen:
medienpolitik.net: Herr Tallai, die Ostthüringer Zeitung (OTZ) wird ab dem 1. Mai 2023 in einigen ländlichen Gemeinden in der Region Greiz nicht mehr als gedrucktes Angebot abonnierbar sein. Warum?
Tallai: Es geht um 300 Abonnements in diesem Gebiet. Wir haben im ländlichen Raum deutlich höhere Kosten für die Zustellung als in den Städten. Hier kommen relativ wenig Leser*innen auf eine große Fläche – und die Zustellkosten pro Zeitungsexemplar sind enorm hoch. Wir hätten uns für dieses Modellprojekt auch für ein anderes Gebiet entscheiden können, weil auf dem Land die Situation überall ähnlich ist. Wir haben jedes unserer 170.000 Abos in Bezug auf die Zustellungskosten angesehen und uns für das Gebiet entschieden, wo sich auch weitere externe Partner für das Digitalisierungsprojekt finden lassen. Mit dem Modellprojekt wollen wir ermitteln, wie die Leser reagieren, wenn sie keine Alternative zum digitalen Bezug haben. Deshalb haben wir explizit die Zustellung durch die Deutsche Post nicht angeboten. Wir möchten wissen, wie viele der bisherigen Abonnentinnen und Abonnenten sich für die digitalen Angeboten entscheiden und unter welchen Bedingungen. Dafür betreiben wir einen großen Aufwand, mit Schulungen, einem Callcenter für Hilfestellungen und kostenlosen Tablets. Zudem haben wir Partner in der Region angesprochen, die ebenfalls ein Interesse haben, dass sich Kunden digital aktiver werden. Dazu gehören die Sparkasse, die Krankenkassen und der öffentliche Personennahverkehr. Wir hoffen so, auch eine Modellregion für die Digitalisierung im ländlichen Raum zu schaffen. Ein solches Projekt findet auch die Unterstützung der Thüringer Landesregierung.
medienpolitik.net: Ist die wirtschaftliche Situation bei FUNKE Medien Thüringen schwieriger als anderswo, dass sie sich zu diesem schwierigen Schritt entschieden haben?
Tallai: Sicher nicht. Die Kostenexplosion für Energie, Papier und die Zustellungen müssen gegenwärtig alle verkraften. Die Zustellkosten haben sich inzwischen so erhöht, dass wir mit den Abos in den Städten diejenigen in den ländlichen Gebieten subventionieren. Ich weiß, dass sich auch andere Verlage mit zum großen Teil ländlich strukturierten Verbreitungsgebieten mit ähnlichen Überlegungen tragen. Wir waren jetzt die ersten, die das öffentlich gemacht haben. Es liegen inzwischen mehrere Anfragen anderer Verlage über unsere Beweggründe und Erfahrungen vor.
„Es entsteht mit Beitragsmitteln eine Konkurrenz zu unserem privatwirtschaftlichen Unternehmen.“
medienpolitik.net: Angenommen es finden sich nicht ausreichend Abonnenten für die digitalen Angebote. Ziehen Sie sich dann aus der Region zurück?
Tallai: Nein, auf keinen Fall. Wir haben das Modellprojekt ja gerade deshalb gestartet, um auch bei ungünstigen wirtschaftlichen Voraussetzungen die Menschen auf dem Land mit lokalen und regionalen Informationen zu versorgen. Wir werden uns nicht zurückziehen und wir wollen auch keine Kreisredaktionen schließen oder Arbeitsplätze abbauen. Das ist definitiv der falsche Weg, weil wir dadurch unser Produkt beschädigen. Durch die Umstellung auf digitale Abonnements sparen wir deutliche Kosten. Das heißt, wir müssen nicht so viele digitale Abonnements abschließen, wie wir bisher Printabos haben. Natürlich ist unser Ziel, weniger Umsatz zu verlieren, als wir Kosten sparen. Wenn es nicht funktioniert, wissen wir aber, mit welchem Aufwand wir die Leser zum digitalen Umstieg bewegen können.
medienpolitik.net: Wann werden weitere Regionen folgen?
Tallai: Das wissen wir nicht, es gibt keinen Zeitplan dafür. Aber wir wissen, dass die Zustellkosten in den ländlichen Gebieten schon heute höher sind als der Abopreis, also werden wir hier mit den Erfahrungen aus Greiz reagieren müssen. Es ist heute nicht klar, wo und wie lange es noch gedruckte Zeitungen gibt. Das Modellprojekt in Greiz soll dazu dienen, die Zeitung in der Fläche präsent zu halten, anstelle der gedruckten Form digital. Uns ist seit Jahren klar, dass wir irgendwann vor dieser Entscheidung wie in Greiz stehen. Die Kostenexplosion hat uns gezwungen, diesen Schritt schneller zu gehen als gedacht.
medienpolitik.net: Die ARD will und soll die regionale Berichterstattung ausbauen. Wie „bedrohlich“ ist das für die Regionalzeitungen?
Tallai: Im Telemedienstaatsvertrag ist eindeutig geregelt,dass die Anstalten, in unserem Fall der MDR, in Textform berichten dürfen, wenn sie damit ihre Audio- und Videoberichterstattung begleiten.
Die Arbeitsteilung funktionierte bisher so, dass die privaten Regionalmedien regional und lokal berichten und der MDR über die Arbeit der Landesregierung und Schwerpunkte aus den Regionen. Seit einiger Zeit weicht die öffentlich-rechtliche Anstalt von diesem Agreement ab und berichtet auch lokal. Auch ohne Fernseh- oder Audiobeiträge werden regionale oder lokale Texte auf die Online-Seite gestellt. Inzwischen finden sich hier auch Hintergrundberichte und Kommentare. Damit entsteht mit Beitragsmitteln eine Konkurrenz zu unserem privatwirtschaftlichen Unternehmen. Ich glaube nicht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Zeitungen mit ihren Lokalredaktionen und sachkundigen Mitarbeitern ersetzen könnte. Auch der Anteil von Journalisten, die einmal bei uns tätig waren und heute beim MDR arbeiten, hat deutlich zugenommen.
medienpolitik.net: Muss die Politik aktiv werden?
Tallai: Die Festlegungen im Telemedien-Staatsvertrag sind ausreichend, wenn sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk daran halten würde. Wir haben in dieser Sache im Übrigen Beschwerde bei der gemeinsamen Schlichtungsstelle von ARD und BDZV eingereicht.
David Koopmann, Vorstand der Bremer Tageszeitungen AG:
medienpolitik.net: Herr Koopmann, wie bewältigt die Bremer Tageszeitungen AG gegenwärtig die steigenden Kosten?
Koopmann: Das stellt uns vor die gleichen Herausforderungen wie auch die anderen Zeitungsverlage. Wir haben das Glück eines kompakten Verbreitungsgebiets. Unser Schwerpunkt ist die Stadt Bremen und die 26 Umlandgemeinden. Wir kooperieren in unserer Region bei der Zustellung auch mit unseren Nachbarschaftsverlagen. Durch die private Postzustellung bestehen hier zudem auch Synergien. Das reicht aber nicht aus, um die Kostenexplosion zu verkraften. So mussten wir im letzten Jahr nach 39 Jahren die siebte Ausgabe einstellen. Drei Monate vor uns musste „Die Rheinpfalz“ ihre siebente wöchentliche Ausgabe einstellen. Der Hauptgrund war der deutlich gestiegene Mindestlohn. Der Inhalt der Sonntagsausgabe finden sich nun in umfangreicheren Samstags- und Montagsausgaben. Deshalb ist die digitale Transformation so wichtig, weil die Gefahr besteht, dass wir die flächendeckende Zustellung nicht mehr wirtschaftlich aufrechterhalten können.
medienpolitik.net: Eine Ausgabe weniger bedeutet auch weniger Werbeumsätze?
Koopmann: Ja, das bedeutet, dass wir weniger Werbung verkaufen können. Wir bemühen uns natürlich, unsere Kunden auf die anderen Ausgaben zu orientieren.
medienpolitik.net: Wie entwickelt sich der Lesermarkt in Ihrem Verbreitungsgebiet?
Koopmann: Der Rückgang bei den Printabos betrug im vergangenen Jahr über sechs Prozent. Beim E-Paper hatten wir dagegen eine Steigerung von 19 Prozent. Auch bei WK+ verzeichnen wir hohe Zuwächse, sodass wir inzwischen auf 22.000 digitale Abonnements kommen, gegenüber knapp 100.000 Printauflage.
medienpolitik.net: Wie müssen die Digitalabos in den nächsten steigen, um die Verluste auszugleichen?
Koopmann: Wir wollen 2024 mehr digitale Abonnements gewinnen als wir bei Printabos verlieren. Wir bekommen allerdings die wirtschaftlichen Sorgen unserer Leser zu spüren, die mit Abokündigungen vor allem bei den Printabos auf die Inflation reagieren, sodass nicht klar ist, ob wir unser Ziel erreichen. Deshalb bereitet uns das regionale Angebot von Radio Bremen große Sorgen, weil bisherige Abonnenten natürlich abwägen, ob Ihnen das, was dort mit täglich kostenlos geboten wird – da sie den Rundfunkbeitrag bereits bezahlt haben – ausreicht oder ob sie die Mehrinformation, die unsere Zeitungen bieten, benötigen.
„Die Online-Angebote der Anstalten garantieren heute eine permanente Verfügbarkeit von regionalen Textnachrichten und werden damit zum Wettbewerber der Presse.“
medienpolitik.net: Wie wichtig ist für Ihre Leser die regionale Berichterstattung als Kaufgrund für die Zeitung?
Koopmann: Sehr wichtig. Die regionale und lokale Berichterstattung mit Bezug zu ihrer Lebenswirklichkeit ist für unsere Leserinnen und Leser der Hauptgrund für ein Abonnement bei uns.
medienpolitik.net: Sie sprachen Radio Bremen als Konkurrenz zu Ihren Zeitungen an. Sie haben doch die Möglichkeit vertiefender zu berichten und mehr Hintergrund zu liefern als eine tägliche Nachrichtensendung im Fernsehen?
Koopmann: „buten un binnen“ ist nicht mehr die „eine tägliche Fernsehsendung“. Auf der Website und in der App finden sich täglich im Durchschnitt 17 aktuelle Artikel, die zum Teil eine DIN-A4-Seite sprengen würden und die mit den Beiträgen in unseren Zeitungen vergleichbar sind. Damit hat Radio Bremen ein völlig neues Produkt in den Markt gebracht, das Jahr für Jahr ausgebaut wird.
medienpolitik.net: Ihre Zeitungen können täglich kommentieren und Zusatzinformationen aufbereiten…
Koopmann: Dasbietet Radio Bremen auch. Der Sender stellt auch Tageszeitungsredakteure ein, die solche typischen Zeitungsformate produzieren. Sämtliche Kommentare, die früher gesprochen worden sind, werden jetzt nur noch als Texte auf der Online-Seite veröffentlicht. Vor einigen Tagen habe ich dort die erste Glosse gelesen, die auch als „Glosse“ überschrieben war.
medienpolitik.net: Das ist doch aber presseähnlich…
Koopmann: Ja, eindeutig.Wir haben vor einigen Jahren beim ersten Online-Auftritt von Radio Bremen auch dagegen geklagt und der Sender musste eine Unterlassungserklärung unterschreiben und Änderungen vornehmen. Leider ist der aktuelle Medienstaatsvertrag nicht so eindeutig formuliert, dass man bei einer erneuten Klage sicher sein kann, recht zu bekommen.
medienpolitik.net: Die ARD will die regionale Berichterstattung ausbauen. Sollte man dem Grenzen setzen?
Koopmann: Seit 1945 – dem Sendestart – existiert bei Radio Bremen eine regionale Berichterstattung. Das war für die private Presse früher nie ein Problem, da wir uns ergänzt hatten. Diese regionalen Informationen wurden einmal am Tag für 25 Minuten im Fernsehen gesendet und stündlich für 5 Minuten im Radio. Die Online-Angebote der Anstalten garantieren heute eine permanente Verfügbarkeit von regionalen Textnachrichten und werden damit zum Wettbewerber der Presse. Wir akzeptieren natürlich, dass die öffentlich-rechtlichen Sender auch über regionale Themen berichten, aber das dürften ausschließlich Audio- oder Video-Formaten sein, die das Wesen des Rundfunks ausmachen.
medienpolitik.net: Würde eine Zusammenarbeit zwischen der Tageszeitungen AG und Radio Bremen diese Probleme entschärfen?
Koopmann: Dafür müssen die Voraussetzungen stimmen. Wenn das ungleiche Wettbewerbsverhältnis, dass mit der Textlastigkeit der Nachrichtenangebote die Existenzgrundlagen der Presse angegriffen werden, weiter existiert, kann man nicht kooperieren. Was wir gerne machen würden. Ich gehe davon aus, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender erst dann, wenn der Medienstaatsvertrag in diesem Punkt konkretisiert wird, auch daran halten werden.