„Die Produktion wird gegen das Kino ausgespielt“

30. September 2025
Während die Produktionsförderung nahezu verdoppelt werden soll, warten die Kinos weiterhin auf eine angemessene staatliche Unterstützung

Interview mit Dr. Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino und Geschäftsführer der Yorck-Kino GmbH in Berlin und der Programmkino Ost GmbH in Dresden

In einem Interview mit promedia kritisiert Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender des Arthouse-Kinoverbandes AG Kino, die gegenwärtige unausgewogene Förderpolitik für die Filmwirtschaft. „Es besteht in unserem Filmfördersystem bereits ein großes Ungleichgewicht bei der Verteilung der Fördermittel. Weder haben Kinos irgendeinen Vorteil, wenn Fernsehformate gefördert werden, noch lässt sich mit Zuckerbrot und Peitsche für globale Streamer der deutsche Film retten. Unbestritten benötigt Deutschland wettbewerbsfähige Produktionsstandorte und es ist für uns wichtig, dass für Mainstream, Crossover und Arthouse mehr Qualitätskinofilme entstehen, für die sich der Weg ins Kinos lohnt. Doch wissen wir gar nicht, was eine Verdopplung der Produktionsförderung im KI-Zeitalter bedeutet.“ Wenn Produktionskosten drastisch sinken und gleichzeitig die Flut an Filmen explodierten, benötigen wir dann wirklich mehr Filme oder vielmehr Orte, die in dieser Flut Orientierung bieten, fragt Bräuer.

promedia: Herr Bräuer, wie haben sich die Besucherzahlen im 1. Halbjahr 2025 in den Arthouse- und Kleinkunstkinos entwickelt?

Bräuer: Im 1. Halbjahr 2025 hatten die Arthouse-Kinos 1,7 Prozent weniger Besucher als im Vorjahr. Der Kinomarkt insgesamt verzeichnete ein Minus von 2,1 Prozent. Im Vergleich zu 2019 liegen die Arthousekinos beim Besuch noch um 11,3 % zurück – ein vergleichsweise guter Wert. Allerdings ist die Entwicklung der Kinos sehr unterschiedlich. So haben einige Kinos ein Minus von 30 Prozent, andere liegen dagegen sogar über den Werten der Vorpandemie.

promedia: Wie fördert der Bund die deutschen Kinos 2025 und 2026?

Bräuer: Wegen des Auseinanderbrechens der Ampel-Regierung lagen bis zur Verabschiedung des Bundeshaushalts Ende September die Kinoförderungen auf Eis. Nun besteht hinsichtlich der kulturellen Kinoförderung Klarheit. Der Kinoprogrammpreis wird um die Kinoprogrammprämie als Basisförderung ergänzt. Damit sollen die Anreize, europäische Filme zu zeigen erhöht, das Risiko des Einsatzes kulturell ambitionierter Werke abgefedert und qualitativ exzellente Kinoprogramme besser gefördert werden. Für diese, nach einem Punktesystem vergebene kulturelle Programmförderung, die die bisherige Kinoreferenzförderung der FFA ersetzt, stehen sieben Millionen Euro pro Jahr bereit. Für sich genommen ist dies ein innovativer Schritt in die richtige Richtung. Doch für das Zukunftsprogramm Kino, das von den Ländern kofinanziert worden ist und das vor drei Jahren noch 40 Millionen Euro betrug und im letzten Jahr bereits auf 10 Millionen Euro reduziert wurde, wurden – anders als erhofft und im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt – keine Mittel bereitgestellt. Die 10 Millionen Euro waren im letzten Jahr innerhalb von 27 Sekunden vergeben. Zwar hat der Bundesgesetzgeber noch eine wechselseitige Deckungserklärung angemerkt, so dass Mittel, die nicht in die Produktion von Filmen fließen, für das Zukunftsprogramm Kino eingesetzt werden können. Also Geld, das die Produzenten übriglassen, bekommen die Kinos. Doch wird hier die Produktion gegen das Kino ausgespielt. Das ist weder verlässlich, noch schafft es den Kinos Planungssicherheit. Auch für 2026 ist nicht klar, ob dieses Programm, das Arthouse- wie Landkinos in ihrer Investitionstätigkeit stärkt, weitergeführt wird.

promedia: Wie sieht es in den Nachbarländern mit der Förderung der Kinos aus?

Bräuer: Dort gibt es üblicherweise für die Kinos ähnlich wie in Deutschland eine inhaltliche Programmförderung sowie zusätzlich eine Investitionsförderung, die strukturell auf den Erhalt der Kinolandschaft ausgerichtet ist. Italien unterstützt seine Kinos 2025 zum Beispiel auf nationaler Ebene mit 150 Millionen Euro. Frankreich stellt auf zentralstaatlicher Ebene 20 Millionen Euro jährlich allein für die Programmförderung zur Verfügung, insgesamt gibt es auch dort Kinoförderung in dreistelliger Millionenhöhe. In Deutschland sind es jetzt weniger als 10 Millionen EUR. Hinzu kommen etwa 10 Millionen Euro Kinoförderung der FFA, die sich im Wesentlichen aus der Filmabgabe der Kinos selbst speist.

promedia: Man hört aber auch, dass es weniger Anträge von Kinos um Unterstützung gibt.

Bräuer: Ja, das stimmt, das liegt aber auch daran, dass immer weniger Kinos in der Lage sind, ihren Eigenanteil, den sie bei einer Förderung leisten müssen, aufzubringen. Je nach Bundesland betrug dieser Anteil beim Zukunftsprogramm zwischen 20 und 30 Prozent. Das führt natürlich nicht zu einer Verbesserung des Kinoerlebnisses und macht es für ältere Kinobetreiber auch schwerer, Nachwuchs zu finden. 

"Wir können nicht die Förderung für Orchester verdoppeln und willentlich deren Konzertsäle verfallen lassen."

promedia: Welche Förderung wäre notwendig?

Bräuer: Die Kinos würden jährlich mindestens 30 Millionen Euro für Investitionen und 15 Millionen für die Programmförderung benötigen, um die größer gewordenen Aufgaben einigermaßen bewältigen zu können.

promedia: Welche sind das?

Bräuer: Mit der Digitalisierung der Kinos vor etwa 15 Jahren hat sich eine drastische Kostenverschiebung ergeben. Zuvor hatte der Verleih die hohen Kosten für die analogen Kopien zu tragen. Jetzt müssen die Kinos regelmäßig die digitale Technik erneuern. Radikal verändert hat sich mit der Digitalisierung der gesamte Filmmarkt. Früher gab es jährlich etwa 200 Neustarts in den Kinos, über die eine übersichtliche Anzahl an Medien berichteten und für die der Verleih umfassendes Marketing bereitstellte und die jeweils recht lange eingesetzt worden sind. Heute ist die Herausbringung weit billiger geworden und das Marketingbudget der einzelnen Filme, die heute überdies durchschnittlich kürzere Auswertungszeiten haben, sinkt. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Verleiher und Kinos für die Publikumsbildung gerade bei Arthousewerken jenseits des Mainstreams einen weit höheren Marketingaufwand betreiben. Unsere Mitglieder zeigten im letzten Jahr mehr als 5.000 Filme. Angesichts der Werbereizüberflutung im Alltag und auch der Streaming-Plattformen müssen die Kinos einen viel größeren Aufwand betreiben, um wahrgenommen und besucht zu werden. Ein Beispiel dafür sind Community-Screenings, Klassiker, oder Erfolgsformate wie Strickkino. Doch setzt dies eine Professionalisierung unserer Arbeit voraus, ob im Programm, bei Events, in der Technik oder im heute IT-getriebenen Marketing. Kurz: die Kinos müssen jetzt nicht nur regelmäßig die digitale Technik erneuern, sie benötigen zudem qualifizierteres, teureres Personal und müssen die Kinos selbst einen höheren Marketingaufwand leisten. Die Studios in der USA haben dies früh verstanden und investieren auch bei Filmen für den Arthouse-Markt in enger Kooperation mit den Kinos weiterhin viel in Werbung. Doch in der europäische Filmförderung wurde diese Kostenverschiebung hin zu den Kinos nicht nachvollzogen.

promedia: Die Ansprüche der Besucher, spielen also bei den Kosten keine große Rolle?

Bräuer: Doch, natürlich. Das ist der dritte Punkt. Die Kinos nutzten früher oft jahrzehntelang denselben Projektor und die Besucher saßen auf Klappstühlen. Wer möchte das heute noch? Die Räume müssen inzwischen anders möbliert, beleuchtet und mit Teppichboden versehen sein. Und nach Möglichkeit auch klimatisiert. Wir müssen heute nahezu permanent dafür sorgen, dass sich unsere Besucher wohl fühlen.

promedia: Das setzt doch auch eine kontinuierliche Förderung voraus.

Bräuer: Genau. Zudem hat sich auch die Erlösstruktur nicht den heutigen Erfordernissen der Kinos angepasst. Bei den Arthouse-Kinos gehen über 50 Prozent der Einnahmen weg für Filmmiete, GEMA-Gebühren, Beitrag für die SPIO, den Spitzenverband der Filmwirtschaft und auch an die Filmförderanstalt (FFA). Die Kinos sind nach wie vor die größten Einzahler in diese Institution.

promedia: Wie verkraften die Kinos die ausbleibenden Mittel, die sie früher aus dem Zukunftsfonds erhalten haben?

Bräuer: Kinos sterben langsam und das beginnt damit, dass sie nicht investieren können. Und in dieser Situation sind gegenwärtig viele Kinos. Investitionen sind immer ein Glaube an die Zukunft und ohne Zukunftsprogramm Kino sinken die Investitionen gewaltig. Die Kinobetreiber versuchen es zu kompensieren, in dem sie das Notwendige erledigen und nur soviel investieren, wie gerade noch zu verkraften ist. Ob das ausreicht ist fraglich. Das kleine Kinos sich gut durchwursteln können, haben wir in der Geschichte immer wieder gesehen, aber irgendwann müssen sie aufgeben. Das haben wir besonders schmerzlich im Vorfeld der Kinodigitalisierung zu Beginn des Jahrhunderts gesehen, erst mit der Digitalisierungsförderung vorangetrieben durch den damaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann endete das Kinosterben. Wollen wir dahin zurück? Die Kinos erholen sich aktuell nicht nur von der Pandemie, sie entwickeln sich weiter. Der Weg ist unverändert extrem steinig, um ein Arthouse- oder Landkino halbwegs wirtschaftlich zu betreiben. 

promedia: Es ist geplant die Produktionsförderung des Bundes nahezu zu verdoppeln. Inwieweit würden ihre Kinos auch davon profitieren?

Bräuer: Es besteht in unserem Filmfördersystem bereits ein großes Ungleichgewicht bei der Verteilung der Fördermittel. Weder haben Kinos irgendeinen Vorteil, wenn Fernsehformate gefördert werden, noch lässt sich mit Zuckerbrot und Peitsche für globale Streamer der deutsche Film retten. Unbestritten benötigt Deutschland wettbewerbsfähige Produktionsstandorte und es ist für uns wichtig, dass für Mainstream, Crossover und Arthouse mehr Qualitätskinofilme entstehen, für die sich der Weg ins Kinos lohnt. Doch wissen wir gar nicht, was eine Verdopplung der Produktionsförderung im KI-Zeitalter bedeutet. Wenn Produktionskosten drastisch sinken und gleichzeitig die Flut an Filmen explodiert, brauchen wir dann wirklich mehr Filme oder vielmehr Orte, die in dieser Flut Orientierung bieten? Wir stehen am Beginn der größten Medienumwälzung seit der Erfindung des Internets und für uns noch mehr, seit Erfindung des Kinos vor 130 Jahren. Unsere Kinos müssen jetzt investieren können – in moderne Technik, in Publikumsbindung und ins Kinoerlebnis –, um in dieser neuen Welt als Gegenpol zu bestehen. Auf diese Umwälzungen müssen wir klug reagieren – doch wir diskutieren in einer lähmenden Hängepartie weiter die Fragen der letzten Legislatur.

promedia: Was heißt das für die Filmförderung?

Bräuer: Wir beschäftigen uns seit Monaten damit, wie wieder mehr in Deutschland produziert werden kann und übersehen dabei den grundlegenden Transformationsprozess. KI verändert gerade fundamental, wie Inhalte entstehen und konsumiert werden. Man muss sich nur anschauen, was Kinder heute von YouTube empfohlen bekommen – algorithmisch optimierte KI-Cartoons, die nur auf Verweildauer zielen. Das ist die neue Normalität. Zeitgleich forcieren Aufmerksamkeitsökonomie und Algorithmenlogik die Polarisierung uns Vereinsamung von Menschen.
Die Politik und die Branche müssen den Blick nach vorne richten und Filmförderung endlich ganzheitlich denken. Das bedeutet aber auch, dass wir ein Gesamtpaket für die Förderung benötigen, das alle Teile der künstlerischen wie wirtschaftlichen Kette und alle wechselseitigen Abhängigkeiten gleichermaßen im Blick hat. Kinos sind nicht irgendein Verwertungskanal. Sie sind die letzten Räume, in denen Filme noch herausfordern und ganz der künstlerischen Vision folgen dürfen. Wir verlangen nicht wie bei Streamern oder Social Networks von Filmen, in den ersten Sekunden möglichst alles reinzuhauen, damit bloß niemand weiter scrollt oder das nächste Reel aufmacht. Kinos sind Orte der Auseinandersetzung, nicht der Bestätigung. Ohne diese Bühnen verpufft jede Produktionsförderung. Wir können nicht die Förderung für Orchester verdoppeln und willentlich deren Konzertsäle verfallen lassen. Die entscheidende Frage lautet: Wollen wir, dass Filmkultur in der KI-Ära überlebt? Dann brauchen Kinos jetzt die Mittel, sich als Gegenpole zur digitalen Fragmentierung neu zu erfinden. Später ist zu spät.

 

 

 

 

Zur Übersicht