Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
Nach langer und teilweise kontroverser Debatte hat sich die ÖVP-Grüne-Regierung im Nachbarland auf eine Reform der Digitalangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verständigt, die in einigen Punkten auch ein Vorbild für Deutschland sein könnte. Zuvor hatte man sich nach einem Urteil des Verfassungsgerichtes darauf geeinigt, dass es auch in Österreich ab 2024 eine Haushaltsabgabe geben werde. Über die Konsequenzen, die sich daraus für den monatlichen Beitrag und das Angebot des ORF ergeben, wurde lange gestritten. Nun soll der monatliche Beitrag von 22,45 Euro auf 15,30 Euro sinken und für drei Jahre eingefroren werden. Zur Abgabe kamen bisher noch Länder- und Bundesabgaben hinzu, die mit der künftigen Regelung entfallen, wie auch die Umsatzsteuer. Zudem sollen die Online-Textnachrichten reglementiert werden: Die Anzahl soll von bisher annähernd 900 auf 350 pro Woche sinken.
Die österreichische Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) und die Grüne Klubchefin Sigrid Maurer präsentierten die Eckpunkte der Reform. So darf der ORF künftig sowohl online-only als auch online-first produzieren, zudem soll aus auf den Online-Seiten künftig 70 Prozent Bewegtbild und 30 Prozent Text geben. Trotz eines „harten Sparkurses“ von 325 Mio. Euro (u.a. durch Einschnitte bei Privilegien und stärkere Transparenzregelungen) und Werbeeinschränkungen, soll sich das Online-Angebot erweitern. „Denn wir wollen, dass der ORF mehr junge Menschen mit einem attraktiven Online-Angebot erreicht“, so Raab. Dies sei möglich, da durch den neuen ORF-Beitrag, der zwar geringer ausfällt als die bisherige Abgabe mehr Menschen einzahlen werden. Für Unternehmen gibt es, ähnlich wie in Deutschland, eine Staffelung. Für Betriebe mit 50 Mitarbeitern ist ein ORF-Beitrag fällig, bei 100 Mitarbeitern zwei ORF-Beiträge.
ORF Sport+ bleibt bis 2026 als linearer Fernsehkanal bestehen und soll dann ein digitaler Kanal werden. Zusätzlich soll ein Online-Kinderkanal entwickelt werden. Im Radio- und Digitalbereich gelten künftig stärkere Werbebeschränkungen, die pro Jahr ca. 25 bis 30 Millionen Euro ausmachen sollen. Insgesamt soll es für den ORF laut Raab zu einem „Nullsummenspiel“ kommen. Die geringeren Werbeeinnahmen sollen durch Mehreinnahmen beim ORF-Beitrag kompensiert werden. Dem ORF sollen durch den ORF-Beitrag künftig 710 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung stehen. Mit Werbung wird das Budget künftig ca. eine Milliarde Euro betragen. In Deutschland stehen ARD, ZDF und Deutschlandradio 10 Milliarden Euro jährlich zur Verfügung. Die größten privaten Zeitungskonzerne des Nachbarlandes kommen auf bestenfalls rund 400 Millionen Euro im Jahr.
Während die geplanten Kanäle für Sport- bzw. Kinder und Jugendliche auch vermehrt auf Social Media oder YouTube veröffentlicht werden dürfen, herrscht ein „Channel-Verbot“ für andere Sparten. Eigen- und Koproduktionen des ORF dürfen in der ORF-Videothek künftig bis zu sechs Monaten abrufbar sein; Nachrichten, Sendungen zu politischer Information sowie Sendungen über Sportbewerbe bis zu 30 Tage. Sendungen mit zeit- und kulturgeschichtlichem Inhalt (etwa Dokumentationen) bleiben ebenso wie Inhalte für Kinder unbegrenzt abrufbar.
Der ORF.at soll, nach Überzeugung der Regierungsparteien nicht in Konkurrenz zu Tageszeitungen stehen, sondern das Angebot ergänzen. Für die Grünen Politikerin Sigrid Maurer war es wichtig, „die Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass es bestmöglich ist, den öffentlich-rechtlichen Auftrag wahrzunehmen“. Der ORF gehöre „uns allen und soll auch alle Generationen erreichen“, so Maurer. Die bisherigen Regelungen hätten es dem ORF erschwert, bei der sich rasend entwickelnden Digitalisierung mitzuhalten. „Wir bringen dieses Angebot ins 21. Jahrhundert.“
„Der ORF.at soll, nach Überzeugung der Regierungsparteien nicht in Konkurrenz zu Tageszeitungen stehen, sondern das Angebot ergänzen.“
Laut Vereinbarung soll der ORF einen Transparenzbericht veröffentlichen und hier Gehälter, Nebentätigkeiten und Nebenverdienste darstellen. Ab einem Jahresbruttoeinkommen von 170.000 Euro müssen die Gehaltssummen namentlich publiziert werden. Auch ORF-Privilegien werden laut Raab gekürzt. Sonderzulagen wie eine Wohnungszulage würden ab 2024 halbiert und 2026 entfallen. Zusatz-Sonderpensionen werden, nach Höhe gestaffelt, bis zu 25 Prozent gekürzt, erklärte die Ministerin. Auch Abfindungen würden „begrenzt“, erklärte sie.
Der ORF begrüßt die Neuregelung seiner Finanzierung und die Digitalnovelle. „Mit der Entscheidung für einen ORF-Beitrag (Haushaltsabgabe) ist eine wesentliche Grundlage für eine zukunftssichere Weiterentwicklung des ORF geschaffen“, erklärte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann. Die Digitalnovelle bezeichnete Weißmann als „Kompromiss zwischen den Marktteilnehmern“, damit könnten nun „die Angebote für das Publikum in öffentlich-rechtlichen Kernbereichen gestärkt werden“. Die Neuregelung der ORF-Finanzierung ändere nichts an der Tatsache, dass der ORF auch weiterhin sparsam wirtschaften und die Finanzierungslücke von rund 300 Mio. Euro bis 2026 aus eigener Kraft schließen müsse.
Die erweiterten Möglichkeiten für den ORF, Video und Audio auch ausschließlich für das Web zu produzieren, riefen massive Proteste von privaten Medienunternehmen hervor. Die Novelle gefährde private Medien, ihre Onlineangebote und ihre Finanzierung existenziell, argumentieren sie. Von einer „medienpolitischen Fehlentwicklung“ sprach der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) als Reaktion auf die Einigung der Regierung. „Aufgrund der dominanten Marktposition des ORF in vielen Bereichen – insbesondere als Marktführer im Digitalbereich – droht bei einer ungebremsten Ausweitung seiner digitalen Möglichkeiten ein massiver Einschnitt in der heimischen Medienvielfalt“, warnte VÖZ-Präsident Markus Mair. Es gelte, für einen fairen Interessenausgleich zu sorgen und die Medienvielfalt im Auge zu behalten. Der VÖZ fordert weitere Gespräche im Zuge des Begutachtungsverfahrens und werde sich hier nach Kräften gegen eine weitere Wettbewerbsverzerrung einsetzen. „Aufgrund der aktuell angespannten wirtschaftlichen Lage steht die Medienvielfalt in Österreich auf dem Spiel“, mahnte Mair. „Standard“-Vorstand Alexander Mitteräcker sprach von einer drohenden „Massenvernichtungswaffe“ gegen private Medien.
Die Einigung zum ORF muss als nächstes ein Begutachtungsverfahren durchlaufen, bevor sie als Gesetzentwurf im Parlament eingebracht werden kann. So wird den betroffenen Verbänden, Interessensgruppe, Unternehmen und Bundesländern, Gelegenheit zur Stellungnahme vor den parlamentarischen Beratungen gegeben.