Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
Die Rundfunkkommission der Länder hat am 8. November 2023 einen Entwurf zur Reform des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (6. MÄStV) zur öffentlichen Anhörung freigegeben.
Die Regelungen des Entwurfs beträfen insbesondere den technischen Jugendmedienschutz. Die bereits vorhandenen Jugendschutzsysteme sollen leichter nutzbar gemacht und so miteinander verknüpft werden, dass sie ihre Wirksamkeit bestmöglich entfalten können, heißt es dazu seitens der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz. Dieses Bundesland ist für die Koordinierung der der Medienpolitik der Länder verantwortlich. Weitere Punkte des Entwurfes seien die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung sowie die Kennzeichnung von Angeboten. Bis zum 7. Dezember 2023 können Anregungen und Anmerkungen zu den Vorschlägen eingereicht werden. Am ersten Entwurf gab es im vergangenen Jahr bei der Anhörung starke Kritik vor allem von den Verbänden der Digitalindustrie und Tech-Wirtschaft.
Inhalt des Entwurfs sowie Veränderungen gegenüber dem bisherigen Staatsvertrag:
Zweck des Staatsvertrages ist der einheitliche Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die deren Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen oder gefährden, sowie der Schutz vor solchen Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die die Menschenwürde oder sonstige durch das Strafgesetzbuch geschützte Rechtsgüter verletzen. Mit der Ergänzung der Schutzziele um die „persönliche Integrität“ erfolgt eine Angleichung an die Regelung des Jugendschutzgesetzes und eine Öffnung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) für sogenannte Interaktionsrisiken. Der Anwendungsbereich des JMStV wird ergänzt um Betriebssysteme, die den Zugang zu Rundfunk und Telemedien ermöglichen. Mit der Ergänzung wird das Verhältnis der jugendschutzmedienschutzbezogenen Bestimmungen des Glücksspiel-Staatsvertrages klargestellt.
Im Sinne dieses Staatsvertrages ist
- Angebot eine Sendung oder der Inhalt von Telemedien,
- Anbieter Rundfunkveranstalter oder Anbieter von Telemedien,
- Kind, wer noch nicht 14 Jahre alt ist,
- Jugendlicher, wer 14 Jahre, aber noch nicht 18 Jahre alt ist.
- Risiko für die persönliche Integrität insbesondere ein Risiko durch Kommunikations- und Kontaktfunktionen, durch Kauffunktionen, durch glücksspielähnliche Mechanismen, durch Mechanismen zur Förderung eines exzessiven Mediennutzungsverhaltens, durch die Weitergabe von Bestands- und Nutzungsdaten ohne Einwilligung an Dritte sowie durch nicht altersgerechte Kaufappelle insbesondere durch werbende Verweise auf andere Medien,
Durch die Eingrenzung auf Betriebssysteme, die Zugang zu Angeboten nach Nr. 1 dienen, werden z.B. Betriebssysteme zur Steuerung anderer technischer Geräte (Kühlschränke, Glühbirnen) ausgeschlossen. Um eine möglichst einheitliche Ausgestaltung der Jugendschutzvorrichtung auf den Geräten zu erhalten, werden die Anbieter von Betriebssystemen direkt verpflichtet und der JMStV wird um Pflichten in Bezug auf Apps ergänzt. Durch die Formulierung der „unmittelbaren Ansteuerung“ wird klargestellt, dass im Gegensatz zu offenen Browsern Apps nur Zugriff auf konkrete Angebote ermöglichen.
Online-Suchmaschinen werden in § 12 erstmals im JMStV aufgenommen. Erfasst werden Suchmaschinen im offenen Internet. Nicht erfasst sind Suchmaschinen mit eingegrenztem Umfang, z.B. Bibliotheken innerhalb ihres Bestandes. Durch die Anpassung wird eine Gleichbehandlung zwischen den Bewertungen nach JuSchG und JMStV erreicht. Daher wird eine Doppelbewertung eines Inhalts vermieden, indem durch den Zusatz klargestellt wird, dass auf die zeitlich zuerst erteilte Freigabe abgestellt wird und damit auch die Gefahr eines Auseinanderfallens von Alterseinstufungen gebannt wird. Bisher gelten für die technischen Mittel der Verschlüsselung und Vorsperre besondere Vorgaben, die nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Bereits jetzt bewerten die KJM und die Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle technische Mittel positiv. Mit der neuen Vorschrift wird die bisherige Praxis in den JMStV aufgenommen, um die Rechtssicherheit für Anbieter zu steigern.
- 12 setzt die Pflichten für Anbieter von Betriebssystemen um. Die im Betriebssystem vorgesehene Einstellungsmöglichkeit muss folgende Kriterien aufweisen:
- Einfach: leicht zu bedienen
- Leicht zugänglich: z.B. im Schnellwahlmenü; an zentraler und leicht einsehbarer Stelle
- Abgesichert: unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Belange und durch angemessene Maßnahmen (z.B. Passwort) vor dem unberechtigten Zugriff (z.B. durch die Kinder) geschützt.
Die Feststellung, welche Betriebssysteme üblicherweise von Kindern und Jugendlichen genutzt werden, bestimmt die KJM auf Grundlage einschlägiger Studien (KIM, JIM). Die Verpflichtung, eine Altersstufe nach einstellen zu können, wie es im JMStV-Entwurf heiß, ist Grundlage für die weitere Auslesbarkeit. Die Verantwortung für das „Ausgrauen“ bleibt bei dem Betriebssystem. Die technische Kommunikation zwischen App und Betriebssystem ist vergleichbar mit der Aktivierung des Flugmodus. Bei Aktivierung des Jugendschutzsystems im Betriebssystem wird die offene Browsersuche eingeschränkt. Es sind grundsätzlich alle Browser nutzbar, die die Anforderungen der Jugendschutzvorrichtung erfüllen. Eine Unterscheidung zwischen systemeigenen und systemfremden Browsern erfolgt nicht mehr. Damit wird den entsprechenden Anmerkungen aus der Anhörung und den Anforderungen des Digital Markets Act (DMA) entsprochen. Die Festlegung, welche Online-Suchmaschinen hier relevant sind, richtet sich nach den einschlägigen Studien KIM und JIM.
Es sind grundsätzlich alle App-Stores nutzbar, die die Anforderungen der Jugendschutzvorrichtung erfüllen. Eine Unterscheidung zwischen systemeigenen und systemfremden App-Stores erfolgt nicht mehr. Die Anpassung ermöglicht, dass auch andere App-Stores verwendet werden können, sofern sie den Anforderungen entsprechen. Damit wird den entsprechenden Anmerkungen aus der Anhörung und den Anforderungen des DMA entsprochen. Mit der Regelung wird verhindert, dass auf solche App-Stores zurückgegriffen wird, die z.B. keine Alterskennzeichnung der Apps vornehmen oder die nicht technisch auslesbar für das Betriebssystem sind. Die Pflicht des Betriebssystems geht nur soweit, wie sie der im App-Store generierten Altersangabe entspricht. Apps sind im App-Store mit dem Alter zu kennzeichnen. Sobald im Betriebssystem ein Alter eingestellt wird, sind nur noch solche Apps nutzbar, die dem eingestellten Alter entsprechen. Alle übrigen werden ausgeblendet, solange kein anderes bzw. kein Alter eingestellt wird. Die neue Formulierung im Entwurf soll klarstellen, dass das Betriebssystem keine Altersbewertung und Auswahl einzelner Inhalte in der App vornimmt, sondern lediglich die Altersstufe bei der App abfragt. Die App antwortet. Auf diese Weise stellt das Betriebssystem die Übereinstimmung der Altersstufen fest. Ist keine Alterseinstellung erfolgt, ist die App nicht nutzbar. Es muss die Möglichkeit bestehen, individuelle Einstellungen am Gerät vorzunehmen. Damit können auch Angebote zugänglich gemacht werden, die nach der Einstellung im Betriebssystem nicht angezeigt werden. Neben der eröffneten Möglichkeit, grundsätzlich nicht zugängliche Browser und Apps individuell zugänglich zu machen, soll ebenfalls die Möglichkeit bestehen, einzelne individuell ausgewählte Browser oder Apps zusätzlich nicht zugänglich zu machen, die aufgrund ihrer eingestellten Altersstufe grundsätzlich angezeigt werden würden. Betriebssystemanbieter müssen künftig auf ihren Vertriebsplattformen Vorkehrungen treffen, dass Anbieter ihre Apps in einer technisch auslesbaren Weise kennzeichnen.
Das automatisierte Bewertungssystem muss von der KJM anerkannt werden. Mit dieser Regelung wird Anmerkungen aus der öffentlichen Anhörung entsprochen. Die Kriterien für die sichere Suche im Browser werden von der Kommission für Jugendmedienschutz der Medienanstalten festgelegt. Damit soll sichergestellt werden, dass die Kriterien den nationalen Beurteilungsmaßstäben entsprechen und für Anbieter und Nutzer transparent sind. Anbieter von Apps sind verpflichtet, ihre Apps entsprechend der Altersstufe zu kennzeichnen. Hierfür sind im App-Store vom Anbieter des Betriebssystems entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Um technisch sicherzustellen, dass diese auch bei aktiviertem Kindermodus angezeigt werden, muss eine Kennzeichnung „Ohne Altersbeschränkung“ vorgenommen werden. Das kann beispielsweise durch die Einrichtung eines speziellen Kinderprofils mit Inhalten bis Altersstufe 12 erfolgen, auf das der Nutzer hingewiesen wird. Das Wort „angemessen“ eröffnet dem Anbieter diverse Gestaltungsmöglichkeiten entsprechend seines Systems. Eine direkte „Durchwirkung“ der eingestellten Altersstufe auf das Jugendschutzprogramm ist damit nicht mehr zwingend, solange diese angemessen berücksichtigt wird.
Mit dem novellierten JMStV soll der technische Jugendmedienschutz weiter gestärkt werden. Damit ändern sich zudem auch die Anforderungen an die Aufsichtsorgane. Zwei Mitglieder der KJM sollen daher über einen besonderen Sachverstand im Bereich des technischen Jugendmedienschutzes verfügen.
Der novellierte JMStV soll den Medienanstalten ein effektiveres Vorgehen gegen sogenannte Pornografieseiten ermöglichen. So wird die Medienaufsicht die Möglichkeit haben, „den am Zahlungsverkehr Beteiligten, insbesondere den Kredit- und Finanzdienstleistungsunternehmen, die Mitwirkung an Zahlungen für diese Angebote untersagen. Zum anderen wird sie schneller und unkomplizierter Netzsperren anordnen können. Derzeit sind umfangreiche Verwaltungsverfahren erforderlich. Dazu heißt es im Entwurf: „Erweisen sich Maßnahmen gegenüber dem Veranstalter oder Anbieter als nicht durchführbar oder nicht Erfolg versprechend, können Maßnahmen zur Entfernung oder Sperrung von Angeboten nach Absatz 1 auch gegen Dritte unter Beachtung der Vorgaben des Telemediengesetzes Digitale-Dienste-Gesetzes und der VO 2022/2065 gerichtet werden, sofern eine Sperrung dies technisch möglich und zumutbar ist. Gleiches gilt für Angebote, die mit bereits zur Sperrung angeordneten Angeboten ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind. § 7 Abs. 2 des Telemediengesetzes bleibt unberührt. Art. 8 der VO 2022/2065 bleibt unberührt.“ Die Erfahrungen der Medienanstalten bei der Durchsetzung von Maßnahmen gegen große Porno-Plattformen hätten gezeigt, so die Begründung des Entwurfs, dass Sperrverfügungen sehr schnell durch sogenannte Mirror-Domains umgangen werden könnten. Dabei seien die Inhalte unter einer leicht abgewandelten URL trotz Sperrung wieder abrufbar. Nach der bisherigen Rechtslage wäre ein erneutes aufwendiges Verfahren zum Erlass einer weiteren Sperrverfügung gegen diese neue URL erforderlich.