„Von einer neuen Offenheit der Öffentlich-Rechtlichen kann noch keine Rede sein“

14. September 2023
Julia Becker, Aufsichtsratsvorsitzende der Funke Mediengruppe
Julia Becker, Aufsichtsratsvorsitzende der Funke Mediengruppe
Julia Becker: Unabhängiger Regionaljournalismus ist besonders in Krisenzeiten relevant

Aus der Rede von Julia Becker, Aufsichtsratsvorsitzende der Funke-Mediengruppe, im Übersee-Club in Hamburg

Es ist für mich eine große Ehre, heute im Übersee-Club sprechen zu dürfen. Auch in der Medienpolitik sind von diesem Ort viel diskutierte Botschaften in die Welt geschickt worden. Zuletzt ist ja die Rede von Tom Buhrow zur Reform der Öffentlich-Rechtlichen Sender im November letzten Jahres „wie eine Bombe eingeschlagen“, so die FAZ, und hat enorme mediale Aufmerksamkeit erregt. Anders als der Intendant des WDR und damalige ARD-Vorsitzende (im Übergang) kann und will ich aber nicht sagen, dass ich heute nur als Privatperson rede. Denn anders als leitende Angestellte im gebührenfinanziertem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk ist für uns Familienunternehmerinnen und -unternehmer das Private immer dienstlich und das Dienstliche immer auch privat. Es gibt da keine Unterscheidung, keine Distanzierung. Als Verlegerin gibt es nur die volle Verantwortung.

Lassen Sie mich mit einer guten Nachricht beginnen. Sie wird Sie vielleicht überraschen: Es sind großartige Zeiten für guten, unabhängigen Journalismus, gerade auch für Regional- und Lokaljournalismus. Das hat zum einen damit zu tun, dass wir durch die Digitalisierung so viele Menschen wie noch nie erreichen. Und es hängt ganz wesentlich mit der „Lage“ in unserem Land zusammen:  In der aktuellen Anhäufung von offenbar niemals endenden Krisen – die Stichworte kennen Sie alle: die Nachwehen von Corona, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die Folgen: Energiekrise, Kostenexplosion, Inflation – suchen die Menschen dringend nach Informationen - und zwar nach gewissenhaft überprüften, verlässlichen. Der renommierte Sozialpsychologe Andreas Zick hat vor wenigen Tagen in einem bemerkenswerten Interview mit unserer WAZ darauf hingewiesen, dass Medien in Krisenzeiten immer bedeutender werden, „weil sie Informationen anbieten, die wir bei Verunsicherung suchen. Medien bieten einen Beurteilungsmaßstab…“, sagt er.

Das stimmt: Es sind Zeiten, in denen die Menschen genau wissen wollen, was gerade passiert und warum, womit zu rechnen ist, worauf man sich einstellen muss; es sind Zeiten, in denen man besonders dankbar ist für Erklärungen und Einordnungen, für Ratschläge und Services, für Hintergründe und Orientierung, für Unterhaltung und Ablenkung auch. Die eingeführten Medienmarken, insbesondere die regionalen Titel, sind in diesen krisengeschüttelten Zeiten ganz besonders wichtig: Ihnen vertrauen die Leserinnen und Leser, Userinnen und User am meisten, ganz gleich ob Print oder Digital. In ihrer großen Mehrzahl – das zeigen unterschiedliche aktuelle Studien ganz deutlich – wissen oder spüren sie, dass sie hier Nachrichten, Reportagen, Berichte und Kommentare erhalten, die der Wahrheit verpflichtet sind.

Gerade jetzt zeigt sich, dass unabhängiger Journalismus ein Bollwerk gegen Fake News ist, gegen Lügen und Propaganda, wer immer sie auch verbreiten mag – und damit ein Fundament für unser Miteinander, das in der Demokratie auf Fakten und Wahrheit beruht. Gerade jetzt, in diesen Krisenzeiten, wird unübersehbar, wie wichtig unabhängige, journalistisch arbeitende Regionalmedien für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind. Sie sind nahe an den Menschen, nehmen Bezug auf ihre Sorgen, Erwartungen und Wünsche, stellen nicht nur in Frage, sondern bieten konstruktive Lösungen und machen das Leben in den jeweiligen Regionen besser. Ihre wichtigste Aufgabe ist darüber zu berichten, was ist, die Realität zu analysieren und einzuordnen. Kurz: Die Suche nach Wahrheit – das ist unser Geschäft. Dagegen basiert das Geschäftsmodell der großen Internet-Konzerne wie Google, Facebook oder Twitter auf Algorithmen, die so funktionieren: Je mehr Übertreibung und Sensation, je mehr Fake News, je mehr Hetze, desto mehr Reichweite und desto besser für das Business. Das ist unendlich gefährlich für unsere Demokratie, die, wie der Schriftsteller Heinrich Mann einmal gesagt hat, ja „im Grunde die Anerkennung (ist), dass wir, sozial genommen, alle füreinander verantwortlich sind.“

Das Geschäftsmodell für unabhängigen Regionaljournalismus bröckelt

Damit sind wir bei einer schlechten Nachricht, die ich Ihnen und mir leider nicht ersparen kann: Das Geschäftsmodell für guten Regionaljournalismus ist gefährdet. Das hängt ganz stark auch mit den genannten Internet-Giganten zusammen. Sie, die in Deutschland kaum Steuern zahlen, greifen „mit Schauffelbackern“, wie es Burda-Vorstand Philipp Welte so anschaulich sagt, unsere Werbeumsätze ab. Aber nicht nur das. Sie nutzen auch ungeniert unsere Inhalte – ohne dafür zu zahlen. Das tun auch die Öffentlich-Rechtlichen Sender, womit ich doch noch einmal kurz bei Tom Buhrow wäre. Denn hier gäbe es enormen Reformbedarf. Wenn Sie sich die Websites der großen Sender ansehen und auf die regionalen Seiten gehen, werden Sie unzählige regionale und lokale News und Geschichten finden – und zwar ganz ohne Sendungsbezug (was laut Staatsvertrag eigentlich notwendig wäre). Hier in Hamburg beim NDR ist man noch einigermaßen zurückhaltend. Beim MDR in Thüringen können Sie aber zum Beispiel ganze Lokalzeitungen im Netz lesen – finanziert über die Gebühren. Das, was sie hier erfahren, reicht dann schon vielen Userinnen und Usern als Information. Warum dann noch ein Regionalmedium kaufen? Meistens sind die Beiträge in unseren Titeln dann auch noch die Quelle. Die wird zwar meistens brav angegeben. Weil die Websites der Öffentlich-Rechtlichen aber werbefrei sind, werden deren Nachrichten dann bei Google ganz oben gelistet. Die Nachrichten auf den Websits der Regionalmedien, die wir u.a. mit Werbung finanzieren, landen dagegen meist abgeschlagen weit unten – und das geht dann wieder auf die Reichweiten und bedeutet weniger Werbeumsatz. Das ist kein fairer Wettbewerb. Wir leben schließlich von der Bereitschaft unserer Leserinnen und Leser, für unsere Inhalte zu bezahlen und nicht von verpflichtenden Gebühren. Wir sind hier in Gesprächen, aber von einer neuen Offenheit der Öffentlich-Rechtlichen, wie sie Tom Buhrow ja auch gefordert hat, kann noch keine Rede sein.

Vor enorme Herausforderungen stellt uns auch die Notwendigkeit, zurzeit zweigleisig fahren zu müssen. Das heißt: Wir transformieren unseren Journalismus ins Digitale und gleichzeitig setzen wird das Geschäft mit Print-Zeitungen fort. Die digitale Transformation ist selbstredend notwendig, weil sich insbesondere jüngere Menschen fast ausschließlich übers Handy oder IPad informieren. Die digitalen Möglichkeiten sind ja auch grandios: Ich zum Beispiel liebe Hamburg und schaue allmorgendlich von meinem Wohnort im Münsterland oder auf Reisen ganz unkompliziert ins Hamburger Abendblatt-EPaper oder beim Hamburger Abendblatt plus vorbei.  Sehen Sie sich mal das Medienverhalten Ihrer Kinder an: Für meine Töchter wenigstens kann ich sagen, dass sie die für sie relevanten Inhalte nur noch digital beziehen – und sie sind nun wirklich in einem zeitungsaffinen Haushalt aufgewachsen. Viele Menschen – und es sind vor allem Ältere, aber nicht nur – wollen aber weiterhin ihr Hamburger Abendblatt oder ihre WAZ oder ihre Thüringer Allgemeine als Printausgabe lesen – und zwar morgens beim Frühstück, zugestellt bis 6.00 in der Frühe. Ich verstehe diesen Wunsch sehr gut. Denn die gedruckte Zeitung gehört zum Leben dieser Menschen dazu. Sie begleitet viele unserer Leserinnen und Leser schon über Jahrzehnte. Die Zeitung gedruckt zu lesen, ist ein geliebtes Ritual. Und wir wollen dieses Bedürfnis auch weiterhin erfüllen. Aber es wird immer schwieriger.

Zum einen stellt es die Redakteurinnen und Redakteure vor enorme Herausforderungen, beides - Print und Digital – gleichzeitig zu bedienen. Es ist eben etwas anderes, ein Blatt zu machen oder einen Text möglichst mit Video oder Podcast fürs Netz zu produzieren und interaktiv zu kommunizieren. Es braucht andere Fähigkeiten und auch andere Haltungen. Denken Sie nur daran: Der Redaktionsschluss einer gedruckten Zeitung liegt meist bei 18.00 Uhr, bei Champion League-Spielen auch schon mal einiges später. Das Produkt ist dann abgeschlossen und fertig für den Druck. Feierabend für die meisten Redakteure. Im Netz hingegen gibt es keinen Redaktionsschluss, es geht immer weiter, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Eine Orientierung bieten hier die Wellen, in denen besonders viele Userinnen und User auf unsere journalistischen Inhalte gehen: früh morgens, in der Mittagspause und dann nach der Arbeit in den Abendstunden. Eine erste Redaktionskonferenz um 10.00 morgens, wie sie in den meisten Zeitungsredaktionen früher üblich war, wäre für den Digitaljournalismus überhaupt nicht mehr passend. All das können wir einigermaßen gut durch kluge Köpfe und durch eine kluge Organisation lösen. Immer komplexer wird es jedoch, die morgendliche physische Zustellung der gedruckten Zeitung zu realisieren. Ich fürchte, auch einige von Ihnen haben schon erlebt, dass die Zustellung des Hamburger Abendblatts nicht verlässlich geklappt hat. Dafür bitte ich aufrichtig um Entschuldigung. Die Gründe liegen vor allem darin, dass es heute schwierig ist, gute Zustellerinnen und Zusteller zu gewinnen. Der Job ist hart, die Bezahlung heute aber gar nicht mehr so schlecht.

Vor allem aber ist die Print-Zustellung kaum mehr zu finanzieren. Ist die Produktion der gedruckten Ausgaben durch die enorm gestiegen Papier- und Druckkosten ohnehin schon sehr teuer, belasten Mindestlohn und hohe Energiepreise die das Printprodukt nochmals erheblich. Insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen die Briefkästen weit auseinander liegen und die Wege durch den Switch vieler Menschen ins Digitale immer länger werden, übersteigen die Kosten für die Zustellung den Aufwand für die Erstellung des Contents bei weitem. Das ist keine gute Relation. Um in den kommenden Jahren weiterhin zustellen zu können, setzen wir uns gemeinsam mit anderen Verlagen für eine staatliche Zustellförderung ein. Sie soll nur für die Übergangszeit gelten, in der aus dem Gros der derzeitigen Print-Leserinnen und Leser digitale Userinnen und User werden. So fordern wir Zeitungsverlegerinnen und -verleger etwa eine Senkung der Mehrwertsteuer für journalistische Produkte auf 0 Prozent. Das wäre ein wesentlicher Beitrag für die digitale Transformation, den Erhalt von gutem Journalismus und letztlich für die Demokratie. Die vergangene Bundesregierung hat uns eine temporäre Förderung zugesichert, die aktuelle um den begeisterten Zeitungsleser Olaf Scholz auch. Passiert ist leider nichts. Wenn es so bleibt, wird es sehr bald Regionen geben, in denen viele Leserinnen und Leser vom unabhängigen gedruckten Regionaljournalismus abgehängt sind. Wollen wir das? Denken Sie nur an ländliche Regionen zum Beispiel in Thüringen, wo politische Extremisten mit Fake News Stimmung gegen die Demokratie machen. Wir wissen aus Studien in den USA und Kanada, dass dort, wo es keinen unabhängigen Regionaljournalismus mehr gibt, Korruption und Machtmissbrauch zunehmen und das Engagement in Lokalpolitik und Vereinen abnimmt. Ja, sogar die Wahlbeteiligung geht deutlich zurück.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf einen Aspekt hinweisen, was mich besonders bedrückt: Journalisten, insbesondere Regionaljournalisten (weil sie besonders nah an den Menschen sind) werden immer häufiger körperlich bedroht. Die Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten hat in manchen Regionen Ausmaße angenommen, die mich zutiefst beunruhigen. Als Konsequenz lassen wir etwa in Thüringen unsere Journalisten nicht mehr ohne Security-Begleitung von Demonstrationen berichten. Angegriffen wurde vor kurzem trotzdem einer. Pöbeleien im NS-Jargon gegen die „Systempresse“ oder „Lügenpresse“ sind dort an der Tagesordnung. Und dass immer wieder auch Radmuttern an den Fahrzeugen unserer Journalistinnen und Journalisten gelockert werden, ist die radikale und überaus gefährliche Konsequenz dieser Geisteshaltung. Verstehen Sie mich nicht falsch: Selbstgerechtigkeit liegt mir fern. Wir sind auch nicht immer zufrieden mit den journalistischen Leistungen in unseren Medien. Auch mir ist die Berichterstattung manchmal zu mainstreamig. Und manchmal nehmen wir auch unsere Wächterfunktion nicht ausreichend wahr. Aber wir befragen uns ständig selbstkritisch, wollen immer besser werden. Trotz aller Fehler, die auch uns passieren, treibt uns eins an: Wir versuchen mit unserem Journalismus immer die Informationen und Fakten zu liefern, die es für eine Meinungsbildung in der offenen, freiheitlichen Gesellschaft bedarf. Deshalb muss es ein gesamtgesellschaftliches Interesse daran geben, Journalistinnen und Journalisten vor Übergriffen zu schützen.

Die Zukunft des Regionaljournalismus ist digital  

Das ist das Paradox, mit dem wir Verlegerinnen und Verleger zu tun haben: Obwohl wir unabhängigen Regionaljournalismus so dringend wie vielleicht noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik brauchen, er so viele Menschen wie noch nie erreicht und dringend verlangt wird, ist sein Geschäftsmodell so gefährdet wie noch nie. Und trotzdem bin ich optimistisch für den Regionaljournalismus. Und das hat auch und gerade mit der Digitalisierung zu tun. Denn immer deutlicher wird: Tragfähige digitale Geschäftsmodelle im Journalismus beruhen auf Qualität. Die Userinnen und User sind nur bereit für journalistische Angebote im Netz zu zahlen, wenn sie einen echten Mehrwert erhalten: Exklusive News, tiefgehende Hintergrundberichte, kluge Einordnungen, nützliche Serviceangebote, intelligente Unterhaltung. Die alte Journalistenweisheit „eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte“ ist aktueller denn je. Denn durch die Auswertung digitaler Daten wissen wir genau, welche Geschichten unsere Leserinnen und Leser erwarten und wie sie sie erzählt bekommen wollen. Dank der Digitalisierung haben wir jetzt die Möglichkeit, ganz präzise in Erfahrung zu bringen, was die Menschen lesen, hören oder sehen wollen und in welcher Weise. Denn wir können genau messen, welche Beiträge wie häufig angeklickt wurden, wie lange die Userinnen und User darauf verweilen und – natürlich – welche Beiträge wieviele Abos generieren. Und aus unseren Datenauswertungen wissen wir: Unsere Nutzerinnen und Nutzer wünschen sich in ihrer großen Mehrheit seriös recherchierte und gut aufbereitete Geschichten. So waren wir zum Beispiel selbst überrascht, dass hier in Hamburg die Kulturberichterstattung – die Kolleginnen und Kollegen aus dem Feuilleton werden, wie Sie wissen, gerne zuallererst auf irgendwelche Streichlisten gesetzt – ganz besonders begehrt ist. Kritiken von Theateraufführungen oder Musikveranstaltungen – nicht nur, aber auch aus der Elbphilharmonie – interessieren viele Leserinnen und Leser besonders dann, wenn sie sehr schnell nach der Aufführung – also idealerweise bis zu zwei Stunden danach - veröffentlicht werden und gut aufbereitet worden sind. Dafür sind viele Menschen bereit, Abos abzuschließen.

Wir haben aber auch gelernt, dass unsere Nutzerinnen und Nutzer Themen erwarten, die wir früher nicht so auf der Agenda hatten. Und dass sie sie anders erzählt bekommen wollen als wir es früher getan haben. Lassen Sie mich auch das anhand eines Beispiels aus Hamburg erläutern. Sie kennen alle die populären Karl-May Festspiele in Bad Segeberg, die seit Jahrzehnten jeden Sommer über viele Wochen hinweg Zehntausende Zuschauerinnen und Zuschauer anlocken. Früher, in der reinen Print-Ära, haben wir im Hamburger Abendblatt zu Beginn der Festspiele berichtet, nach einigen Wochen vielleicht mal eine Zwischenbilanz gezogen und am Ende erzählt, wie erfolgreich oder eben nicht die Saison war. Jetzt berichten unsere Redakteurinnen und Redakteure kontinuierlich über das Ereignis, stellen Winnetou-, Old Shatterhand- und Nscho-Tschi-Darstellerinnen und Darsteller vor, greifen besondere Vorkommnisse auf, lassen Zuschauerinnen und Zuschauer zu Wort kommen und nutzen dabei Texte genauso wie Grafiken, Videos und Audios. Diese Form der Berichterstattung, die eine Atmosphäre vermittelt, ist ein ungeheurer Erfolg. Das Thema „trendet“, sagen unsere digitalen Kolleginnen und Kollegen. Unsere Berichterstattung bedient ein Interesse der Leserinnen und Leser, von dem wir jetzt – endlich! – erfahren haben. Entsprechend berichten wir genauso von vielen Events, von Festivals und Konzerten, von Messen und – natürlich – Fußballspielen.

Ich bin sehr froh über dieses neue, datenbasierte Wissen, über das wir jetzt verfügen. Unsere Redakteurinnen und Redakteure können die Inhalte nun viel direkter auf die Interessen der Leserinnen und Leser hin zuschneiden. Noch nie konnten wir so kundenfreundlich arbeiten, wie heute. Das ist eine riesige Chance! Das bedeutet aber keinesfalls, dass wir unsere Themen und Erzählweisen ausschließlich an Daten ausrichten. Inhalte, die unsere Journalistinnen und Journalisten für relevant halten und die vielleicht nicht gleich „trenden“, bringen sie in unseren Medien natürlich auch weiterhin. Das ist unsere journalistische Verantwortung: Wir arbeiten datenorientiert, wir sind aber keine „Datenautisten“. Mehr denn je aber achten unsere Redakteurinnen und Redakteure darauf, dass auch sperrige Themen gut und verständlich aufbereitet werden. So kann zum Beispiel auch eine Geschichte über einen der letzten Prozesse gegen einen KZ-Aufseher, die zu bringen wir einfach für wichtig halten, eine große Wahrnehmung erfahren, wenn sie gut – und das heißt wirklich nicht reißerisch – geschrieben worden ist. Die Digitalisierung eröffnet dem Regionaljournalismus große Chancen. Es ist aber noch ein langer Weg, bis wir alle Optionen auch wirklich nutzen können und es uns gelingt, mit den technischen Entwicklungen – denken Sie nur an KI – mitzuhalten. Lassen Sie mich in vier Punkten sagen, worauf es jetzt ankommt, um guten Regionaljournalismus in die Zukunft zu führen.

1. Wir brauchen einen klaren strategischen Fokus auf digitale Produkte und eine konsequente digitale Transformation. Denn so viel ist klar: Die Zukunft des Regionaljournalismus ist weitgehend digital.

In der digitalen Welt müssen wir datenbasiert, wohlgemerkt nicht datenbesessen, arbeiten. Es geht darum, die Inhalte zielgerichtet auf die Interessen der Leserinnen und Leser zuzuschneiden und zugleich immer auch Themen zu setzen, die nach Auffassung unserer Journalistinnen und Journalisten relevant sind. Denn wir wollen unsere Nutzerinnen und Nutzer ja auch überraschen und dadurch gewinnen. Diese Strategie bedeutet auch: Ständig lernen, immer wieder überdenken, nachjustieren, ausprobieren. Die Digitalisierung ist eben auch eine große Zeit für Entdeckerinnen und Entdecker! Wir haben bei FUNKE diese Strategie „User first“ genannt. Letztlich geht es aber um „Subscription first“. Denn wir brauchen die Bindung - das Engagement - und die Abos unserer Userinnen und User, um guten Journalismus auch in Zukunft zu finanzieren.

Ich hoffe, ich langweile Sie nicht, wenn ich Ihnen kurz erläutere, wie wir in unseren Regionalmedien diese Strategie konkret umsetzen. Hier spielen die sogenannten „Lokalen Märkte“ eine zentrale Rolle. Wir unterhalten bei FUNKE rund 100 Lokalredekationen, weil wir wissen, wie wichtig Präsenz vor Ort in den Regionen ist, aus denen wir berichten. Nebenbei gesagt: Genau diese lokale Präsenz macht Lokal- und Regionaljournalismus so aufwendig und teuer. Jede Lokalredaktion betrachten wir als individuellen Markt. „Individuell“ deshalb, weil die Menschen in Hamburg-Bergedorf eben anders „ticken“, andere Erwartungen und Gewohnheiten haben als etwa in Harburg oder Othmarschen und erst recht als in Gelsenkirchen im Ruhrgebiet oder Olpe im Sauerland oder in Kreuzberg. Diese individuellen Märkte genau zu analysieren und mit entsprechend zugeschnittenem Content und Aktionen zu bedenken, ist der entscheidende Hebel, um die Digitalisierung in unseren Regionalmedien zu beschleunigen und auf ein neues Level zu heben. Dabei werden die Lokalredaktionen jeweils einige Monate von einem Coachingteam intensiv begleitet und gefördert. Im Fokus steht dabei die konsequente Ausrichtung von Inhalten und Verkauf auf die Interessen und Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer. Die intensive Begleitung und Förderung durch Spezialisten in den Bereichen Online, Datenauswertung, SEO, Social Media und Verkauf gibt den begleiteten Redaktionsteams zusätzlich Orientierung. Motivierend für die Redaktionen ist dabei, dass sich ein positiver Effekt in der Regel schnell einstellt: Sie erreichen mit ihren Inhalten mehr Menschen – und genau das will ja letztlich jede Journalistin und jeder Journalist. Die Userinnen und User steuern die Inhalte regelmäßiger an.  Der Erfolg ist ermutigend: Die Marktdurchdringung wächst erheblich, die Zahl der sogenannten „Fans“ – das sind die Menschen, die mehr als 20 Mal im Monat auf unsere Inhalte gehen – steigt erheblich. Das alles wirkt sich positiv auf die Abo-Zahlen aus. Dieser Weg ist richtig und, wie wir inzwischen wissen, auch nachhaltig. Wir können damit auch über längere Zeiträume hinweg unsere Subscription-Quoten anheben. Und wir können Arbeitsplätze sichern: Bei FUNKE ernähren unsere Digital-Erträge immerhin schon rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist noch nicht genug. Aber es zeigt, dass ein journalistisches Geschäftsmodell im Netz möglich ist und wir auf dem richtigen Weg sind.

2. Wir brauchen kluge Konzepte für die Übergangszeit, in der wir uns jetzt befinden und in der wie zweigleisig arbeiten müssen.

Wie gesagt, viele Menschen wollen oder können nur Print lesen. Wir wollen diese Leserinnen und Leser nicht verlieren, sie so lange halten wie es geht. Das sind wir ihnen schuldig. Und wir dürfen sie auch nicht verlieren, denn letztlich sind sie es, die als treue Abonnentinnen und Abonnenten auch noch wichtige Erträge für die Finanzierung unserer Digitalisierung liefern, auch wenn wir natürlich hart daran arbeiten, dass sich alle unsere digitalen Aktivitäten selbst tragen. Deshalb gilt: Wir werden bei aller Fokussierung auf die digitalen Produkte Print nicht vernachlässigen. Gedruckte Zeitungen müssen als Format weiterhin mit großer Leidenschaft und dem Willen zu hoher Qualität gestaltet werden. Sonst verspielen wir nicht nur ein großes Erbe, wir gefährden auch unsere Zukunft. Printbasierter Journalismus ist endlich, ja. Aber jetzt geht es darum, eine Brücke zu bauen zwischen Print und Digital. Und die wird so aussehen, dass wir künftig diejenigen Beiträge, die besonders gut im Netz gelaufen sind, auch für die Print-Ausgaben nutzen werden. Insofern profitieren jetzt auch die gedruckten Ausgaben von unserem Datenwissen. Ich bin davon überzeugt, dass die Print-Zeitung jetzt sogar zunehmend besser wird. Denn sie vereinigt künftig ein „Best of“ der besonders erfolgreich im Netz wahrgenommenen Beiträge und ist damit so nahe bei den Leserinnen und Lesern wie vielleicht noch nie. Lassen Sie mich auch das sagen: Ich erlebe in unserer Mediengruppe zunehmend zwei Kulturen: die Köpfe, die voll und ganz digital gepolt sind, und diejenigen, die am gedruckten Produkt hängen, auch wenn sie wissen und meist mit ganzer Kraft daran mitarbeiten, dass die Zukunft des Journalismus im Digitalen liegt. Wir tun vieles dafür, dass hier kein Kulturkampf entsteht. Das ist vor allem eine verlegerische Aufgabe. Gute Führung in der digitalen Transformation heißt: Brücken bauen, die Stärken der jeweiligen Kulturen zusammenführen und für den besten Journalismus nutzen. Gute Führung darf nie vergessen, dass Journalistinnen und Journalisten immer eins sind: Produzierende von relevanten Inhalten – ganz gleich, wo sie ausgespielt werden. Deshalb ist es auch gar nicht so schwer, das „mental furniture“ von digital und print „tickenden“ Redakteurinnen und Redakteuren zusammenzuführen. Gemeinsam entsteht genau die Power, die wir benötigen, um guten Regionaljournalismus in die Zukunft zu führen. Aber auch das ist klar: Die digitale Transformation ist eine unfassbare Herausforderung, eine Kräfte und Ressourcen zehrende „long term-revolution“.

3. Wir müssen weiter in die Qualität unserer Regionalmedien investieren.

Wir haben gesehen, dass unsere Produkte gerade auch digital nur dann nachgefragt werden, wenn sie die hohen und spezifischen Ansprüche unserer Nutzerinnen und Nutzer erfüllen. Ich habe dazu ja eben schon einiges gesagt. Für guten Journalismus, für den die Menschen bereit sind zu zahlen, brauchen wir die besten Köpfe, die gewieftesten Spürnasen, die gewandtesten Geschichtenerzählerinnen und -erzähler, die klügsten Analytiker, die mutigsten Kommentatoren. Wer sagt: „Subscription first“, der muss auch sagen: „Best Content first“.  Dazu gehört auch, dass wir in den Redaktionen und in unseren Inhalten diverser, weiblicher, jünger werden und noch näher an die Lebenswelten unserer Nutzerinnen und Nutzer heranrücken. Wir müssen in unseren Redaktionen viel konsequenter die Gesellschaft abbilden. Wir haben bei FUNKE da in den vergangenen Jahren eine ganze Menge getan, am Ziel sind wir jedoch noch lange nicht. Wenn ich mit der U-Bahn zu unserem Verlagshaus am Großen Burstah fahre, sehe ich unterschiedliche Hautfarben, alle möglichen Bildungsbiographien, das bunte Leben in dieser großartigen Stadt eben. Komme ich dann in unsere Redaktion, dominieren noch weiße Männer mit Studienabschluss, Volontariat und Wohnungen in den schönen Bezirken Hamburgs. Das ändert sich allmählich. Unsere FUNKE-Geschäftsführung ist jetzt mehrheitlich weiblich, immer mehr Frauen rücken in Chefpositionen, die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund steigt und wir verlangen beim Volontariat auch nicht mehr zwangsläufig einen Studienabschluss.  Ich habe den Eindruck gewonnen: Digitalisierung ist nur mit Diversität möglich. Testosteron spielt eine spürbar geringere Rolle, alte Seilschaften und irgendwelche Ränkespielchen treten zurück. Es kommt einfach nicht aufs Geschlecht, die Herkunft oder die sexuelle Orientierung an – es geht nur noch um Kompetenzen, inhaltliche, betriebswirtschaftliche und technische. Und möglichst um eine Kombination aus allem. Wenn ich hier einmal das Traumbild der idealen Chefredaktion malen dürfte, dann sähe es so aus: journalistische, technische und unternehmerische Kompetenz würden gemeinsam das Medium führen, an der Spitze idealerweise ein Mensch, der alle drei Felder in sich vereint.

4. Last not least: Wir brauchen die beste Technik – ohne sie ist alles nichts.

Der Journalistenberuf war immer mit Technik verbunden – denken Sie nur an die Entwicklung der Druckmaschine, ohne die es keinen Journalismus geben würde. Im digitalen Zeitalter aber müssen Journalistinnen und Journalisten zunehmend selbst technisch affin sein, um ihre Texte, Bilder, Videos oder Audios entwickeln und ausspielen zu können. Und, ganz aktuell, um KI anwenden zu können. Denn viele Routineaufgaben beim Layout und zunehmend auch bei der Inhalteentwicklung sowie beim Schreiben werden inzwischen von KI wahrgenommen. Wir sehen das durchaus als Chance. Denn den Redakteurinnen und Redakteure wird durch KI der Rücken freigehalten, um vor Ort zu recherchieren, mit den Menschen zu sprechen und emotionale, wahrhaftige Texte oder Videos zu produzieren. Gleichzeitig erwarten unsere Nutzerinnen und Nutzen einfache, bequeme und zuverlässige Lösungen, um rasch und möglichst überall auf der Welt an ihre Informationen zu kommen. Es muss einfach Spaß machen, unsere digitalen Angebote zu nutzen. Mir ist bewusst, dass das noch nicht immer der Fall ist. Auch beim Hamburger Abendblatt. Wir arbeiten aber mit ganzer Kraft daran. Das erfordert enorme und angesichts der rasanten Veränderungen kontinuierliche Investitionen in beste Convient-Lösungen.

Für eine Wiederbelebung des verlegerischen Denkens

 Der Medienbranche fehlt es häufig an Mut und Konsequenz, wirklich Veränderungen herbeizuführen, neue Prozesse und Strukturen zu schaffen, kreative Ideen zu entwickeln und eine neue Kultur zu etablieren. Vor diesem Hintergrund und angesichts der traurigen Vorgänge bei Gruner+Jahr habe ich, wie manche von Ihnen vielleicht wissen, vor einigen Monaten in einem FAZ-Artikel die Etablierung eines Runden Tisches der Verlegerinnen und Verleger angeregt. Denn angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen wir gerade auch im Regionaljournalismus stehen, sollten wir das verlegerische Denken re-aktualisieren, also erneuern und auf die Zukunft hin ausrichten. Verlegerisches Denken orientiert sich nicht an Excel-Tabellen und kurzfristigen Renditen, sondern an Inhalten und dem Anspruch, unsere freiheitliche Gesellschaft mit relevantem Content zu versorgen und mitzugestalten. Das muss natürlich stets wirtschaftlich geschehen – denn unabhängiger Journalismus hat wirtschaftliche Unabhängigkeit zur zwingenden Voraussetzung. Aber Profitabilität und Gewinnsteigerung sind für Verlegerinnen und Verleger nie Selbstzweck. Es geht um mehr als um Geldverdienen! Das war auch der Hintergrund für die Entscheidung meiner Geschwister - Nora Marx und Niklas Wilcke – und mir, vor rund zwei Jahren nochmals zu investieren und alle Anteile unserer Mediengruppe in der Hand unserer Familie zu versammeln. Wir wollten dem Unternehmen eine klare Führung geben. Zudem haben wir mit diesem Schritt verbunden, dass die erwirtschafteten Gewinne für die Zeit der Transformation nicht mehr an uns Gesellschafter ausgeschüttet, sondern in das Unternehmen investiert werden. Diesen Freiraum braucht es in Zeiten der Transformation.

Die Medienbranche mit all ihren Produkten und Angeboten – und das trifft ja nicht nur die Regionalmedien, sondern auch die überregionalen Titel, die Hörfunkstationen, die Fernseh-Konzerne und mittlerweile auch die Online-Angebote - steht seit vielen Jahren im Umbruch. Wir müssen mit unserem Angebot heute sehr viel stärker überzeugen, weil es so viele Alternativen gibt und wir alle um ein begrenztes Zeitbudget der Menschen kämpfen. Und das schaffen wir nur mit Mut, Qualität und Innovation. Genau das ist der Kern verlegerischen Denkens. Wenn wir uns mutig und konsequent daran orientieren, wenn wir uns auf die Digitale Transformation konzentrieren, kluge Konzepte für die Übergangszeit aus Print und Digital umsetzen, in die besten Köpfe und die innovativste Technik investieren, dann werden wir qualitativ hochwertigen Regionaljournalismus in eine gute Zukunft führen. Da bin ich sicher. Denn – und hier schließt sich der Kreis: Es sind großartige Zeiten für guten, unabhängigen Regionaljournalismus. Wir benötigen ihn heute dringender denn je.

Aus der Rede von Julia Becker, Aufsichtsratsvorsitzende der Funke-Mediengruppe, Deutschlands drittgrößter Verlagsgruppe, im Übersee-Club am 13.9.2023

 

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