Interview mit Peter Limbourg, Intendant der „Deutschen Welle“
Die Propaganda der Hamas setzt bekanntlich vor allem auf Lügen und gefälschte Bilder. Dagegen setzt die „Deutsche Welle“, der deutsche Auslandssender, eine realistischere Sicht auf den Krieg. Zudem hat sie die Zahl ihrer Mitarbeiter in Jerusalem von zwei auf zehn erweitert und trotz geringerem Budget die arabische Redaktion „soweit wie möglich verstärkt“. Vor allem ist die Berichterstattung über die sozialen Medien intensiviert worden. Das ist gegenwärtig der wichtigste Informationskanal in die arabische Welt. „Da in den arabischen Medien dagegen nur das gezeigt werde, was im Gazastreifen geschehe, polarisiere die „Deutsche Welle“ auch, aber sie eskaliere diesen Krieg nicht“, sagt Peter LImbourg, Intendant der „Deutschen Welle“. Der Sender wolle in diesem Krieg für die da sein, die ihn brauchen, die weiterhin sachliche und ausgewogene Informationen erwarteten. Und wie die Nutzungszahlen zeigen, sei das auch realistisch. Die arabische Welt sei nicht monolithisch, viele unterstützten nicht die aggressive Politik der Hamas, so Limbourg.
medienpolitik.net: Sie müssen in diesem Jahr mit einem geringeren Budget auskommen als ursprünglich geplant. Gleichzeitig sind die Anforderungen gewachsen und Sie berichten aktuell über zwei Kriege. Wie ist das zu schaffen?
Limbourg: Uns steht weniger Geld zur Verfügung als wir entsprechend unserer Aufgabenplanung bis 2025 eingeplant hatten. Deshalb haben wir rechtzeitig begonnen zu sparen und strategisch zu kürzen, damit wir im Budget bleiben. Angesichts der internationalen Krisen und Kriege wäre ein größeres Budget wünschenswert. Um unsere Aufgabe dennoch erfüllen zu können, müssen wir bis 2024 Einsparungen in Höhe von 20 Millionen Euro vornehmen. Etwa die Hälfte betrifft den Programmbereich, vor allem die Sport- und Kulturberichterstattung.
medienpolitik.net: Im Vergleich zum Vorjahr haben die „Deutsche Welle“ 29 Millionen Menschen mehr genutzt. Das ist ein Plus von zehn Prozent. Werden Sie diese Relevanz trotz der Einsparungen erhalten können?
Limbourg: Die gestiegenen Nutzerzahlen sind ein Beleg dafür, dass unsere Strategie vernünftig ist. Und diesen Weg müssen wir nicht grundsätzlich ändern. Unsere Angebote in 32 Sprachen werden in den sozialen Medien sehr stark nachgefragt, aber nach wie vor auch im linearen Fernsehen. Das beweist, dass sich viele Menschen weltweit auf die „Deutsche Welle“ verlassen und wir viele Nutzende in den Zielregionen erreichen. Gerade wenn global die Krisenregionen zunehmen, ist eine Stimme des Ausgleichs, für Demokratie, für Toleranz, gegen Antisemitismus und Diskriminierung wichtig.
medienpolitik.net: Wie haben Sie im Programm auf den Krieg gegen Israel reagiert? Haben Sie das arabische Programm ausgebaut und die Berichterstattung aus dieser Region erweitert?
Limbourg: Die „Deutsche Welle“ verbreitet seit über 60 Jahren ein arabischsprachiges Programm - seit 1959 zunächst nur Radio und ist durch das lineare Fernsehen und zunehmend über soziale Medien im Nahen Osten sehr erfolgreich. Wir haben die arabische Redaktion soweit wie möglich verstärkt und versuchen im laufenden Programm mit Breaking News aktuell zu berichten. Vor allem ist aber die Berichterstattung über die sozialen Medien intensiviert worden. Das ist gegenwärtig unser wichtigster Informationskanal in die arabische Welt. Wir hatten bisher ein Büro in Jerusalem mit zwei Korrespondentinnen, das haben wir in sehr kurzer Zeit auf zehn Mitarbeiter erweitert, die aus Israel und den palästinensischen Gebieten berichten. Im Gaza-Streifen arbeiten zwei Kollegen für uns und für andere Medien.
medienpolitik.net: Wie kommt Ihre arabische Redaktion mit dem Krieg und der Berichterstattung klar?
Limbourg: Dieser Krieg ist für den ganzen Sender eine große Herausforderung. Bei uns arbeiten sowohl Kollegen, die aus dem arabischen Sprachraum kommen, als auch israelische Staatsbürger. Es ist eine Belastung für alle Journalisten, weil sie grauenvolle Bilder zu sehen bekommen und von einigen auch Familienmitglieder, Verwandte und Freunde in der Region leben, wo jetzt Krieg herrscht. Wir versuchen durch ein Angebot an psychologischer Hilfe, den Mitarbeitern beizustehen. Wir bieten auch Raum für Diskussionen und Gespräche an, damit möglichst niemand mit seinen Fragen und Sorgen allein bleibt.
"Die ‚Deutsche Welle‘ wird in der Region wahrgenommen und ist relevanter geworden."
medienpolitik.net: Kommt es innerhalb der Redaktionen durch die Israel-Berichterstattung der Deutschen Welle zu Konflikten?
Limbourg: Bisher gibt es weder durch die höhere Arbeitsintensität noch durch unsere Art der Berichterstattung Konflikte. Aber das heißt natürlich nicht, dass es in den Redaktionen keine Diskussionen gibt. Es erreicht uns viel Kritik und teilweise auch hassbeladene Kommentare, nicht nur, aber oft aus der arabischsprachigen Welt, in denen man uns vorwirft, dass Deutschland und die „Deutsche Welle“ zu sehr an der Seite Israels stehen. Im Gegensatz zu den allermeisten arabischsprachigen Medien bemüht sich die „Deutsche Welle“ um eine ausgewogene Berichterstattung. So thematisieren wir einerseits das Leid der israelischen Bevölkerung, die Ermordung der Festival-Besucher und Kibbuz-Bewohner und das Schicksal der Geiseln, aber andererseits berichten wir auch über die schwierige Situation und das Leid der Zivilisten in Gaza. Da in den arabischen Medien dagegen nur das gezeigt wird, was im Gazastreifen geschieht, polarisiert die „Deutsche Welle“ auch, aber wir eskalieren diesen Krieg nicht. Mit unseren Informationen wenden wir uns vor allem an die moderaten Bewohner in der arabischen Welt und haben damit auch Erfolg, wie die gestiegenen Nutzerzahlen der vergangenen Wochen zeigen.
medienpolitik.net: Das arabischsprachige Angebot der DW ist mit 71 Millionen wöchentlichen Nutzerkontakten bisher schon neben Englisch das nutzungsstärkste DW-Angebot. Also honorieren Ihre Nutzer, trotz der Kritik die ausgewogene Berichterstattung?
Limbourg: Wir wollen in diesem Krieg für die da sein, die uns brauchen, die weiterhin sachliche und ausgewogene Informationen erwarten. Und wie unsere Nutzungszahlen zeigen, ist das auch realistisch. Die arabische Welt ist nicht monolithisch, viele unterstützen nicht die aggressive Politik der Hamas. Viele erhoffen sich ein Ende der Gewalt und Konfrontationspolitik und eine friedliche Entwicklung in der MENA-Region. Diese Gruppe schätzt die Berichterstattung der DW.
Diese Menschen zu erreichen, ist aber nur eine unserer Aufgaben in diesem Krieg. Wir müssen auch deutsche und europäische Sichtweisen über diesen Konflikt vermitteln. Eine besondere Aufgabe besteht für mich so auch darin, über antisemitische Demonstrationen in Deutschland zu berichten und die besondere Verantwortung Deutschlands beim Schutz von jüdischen Menschen und Einrichtungen angesichts unserer Vergangenheit zu erklären. Die Begriffe „Holocaust“ und „Genozid“ werden in der arabischen Welt inzwischen inflationär und verfälscht verwendet, so dass man deren Bedeutung erläutern muss.
medienpolitik.net: Wir haben erlebt, dass der Krieg gegen Israel auch ein Propagandakrieg der Hamas gegen die Wahrheit ist. Was können Sie dagegensetzen?
Limbourg: Es ist für demokratische Medien grundsätzlich schwer, sich mit Argumenten gegen Propaganda und Desinformation zu behaupten. Die Propaganda der Hamas setzt vor allem auf Fake News und gefälschte Bilder und ist damit leider besonders in der arabischen Welt erfolgreich. Dennoch versuchen wir mit einem ausgewogenen und faktenbasierten Journalismus eine realistischere Sicht auf den Krieg zu vermitteln. Die „Deutsche Welle“ liefert zudem zur aktuellen Berichterstattung Hintergrundinformationen, die in den Sendern vieler Länder weltweit nicht zu finden sind. Wir lassen beispielsweise in unserem arabischsprachigen Programm Palästinenser sowie Israelis zu Wort kommen und zeigen so den Konflikt aus verschiedenen Sichtweisen der Betroffenen. Dabei machen wir die Erfahrung, dass sich aufgrund der ausgewogenen Information und trotz massiver Hamas-Propaganda, viele Menschen in der Region auf die „Deutsche Welle“ und die anderen demokratischen Auslandssender verlassen und ihnen vertrauen.
medienpolitik.net: Welche Rolle spielt die DW im Konzert der Auslandssender bei der Berichterstattung über den Krieg gegen Israel?
Limbourg: Die „Deutsche Welle“ wird in der Region wahrgenommen und ist relevanter geworden. Nach unserem Eindruck sind wir auch in diesem Krieg eine ernstzunehmende Stimme. Diese insgesamt positive Resonanz hilft auch Deutschland, wenn die Argumente von Demokratie, Toleranz und Menschenrechten zunehmend gehört werden.
medienpolitik.net: Wird der Krieg in der Ukraine für Ihre Berichterstattung jetzt zweitrangig?
Limbourg: Wir haben in der Ukraine ein großes Büro mit 30 ukrainischen Mitarbeitern, die umfassend und sehr erfolgreich seit mehr als eineinhalb Jahren berichten. Dieser Krieg Russlands gegen die Ukraine ist für uns weiterhin wie am ersten Tag des russischen Überfalls ein erstrangiges Thema. Die Bedrohung Europas ist ja nicht verschwunden, es sterben weiter täglich viele Menschen. Die Ukraine kämpft um ihr Überleben und die Freiheit Europas und darüber informieren wir mit großem Engagement. Nachrichten bewegen sich in Wellen, wie wir wissen, und es gibt Momente, in denen ein Thema stärker wahrgenommen wird als ein anderes, wie jetzt der Krieg im Nahen Osten. Doch die russische Aggression wird für unsere Berichterstattung relevant bleiben.