„Den zusätzlichen Aufwand wollen die Kunden nicht bezahlen“

04. Dezember 2023
Andrea Peters, „Theaterkunst“ und Achim Rohnke, Verband Technische Betriebe für Film und Fernsehen
Andrea Peters, „Theaterkunst“ und Achim Rohnke, Verband Technische Betriebe für Film und Fernsehen
Drastischer Auftragsrückgang bei den technischen Unternehmen der Filmwirtschaft, Deutschland muss als internationaler Standort wieder wettbewerbsfähig werden

Interview mit Andrea Peters Geschäftsführerin der „Theaterkunst“ und Achim Rohnke, Geschäftsführer des Verbandes Technischer Betriebe für Film und Fernsehen (VTFF)

Die technischen Dienstleister der Filmwirtschaft befinden sich gegenwärtig größtenteils in einer schwierigen finanziellen Situation. Nach den Boomjahren der Branche 2021 und 2022 sind Umsätze und Gewinne rückläufig. In einer aktuellen Umfrage bezeichnen 42 Prozent ihre wirtschaftliche Situation als verbesserungswürdig und 40 Prozent als prekär. 82 Prozent der Unternehmen befinden sich in einem sehr schwierigen finanziellen Fahrwasser. Auch die Zukunftsaussichten mit Blick auf 2024 werden als problematisch bewertet. Zwei Drittel rechnet mit weiter sinkenden Renditen. Wie Achim Rohnke, Geschäftsführer des Verbandes Technischer Betriebe für Film und Fernsehen sagt, treffen neben dem Ausbleiben ausländischer Produktionen die Betriebe besonders, „dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Serien zunehmend im Ausland produzieren“. Andrea Peters, Geschäftsführerin der „Theaterkunst“ ergänzt, resultierten bis zum Juni 2023 70 Prozent ihres Umsatzes aus internationalen Produktionen. Diese seien im zweiten Halbjahr ebenso wie größere deutsche historische Projekte, ausgeblieben.

medienpolitik.net: Im Juli 2023 haben Sie in einem „Notruf“ auf die schwierige Lage der filmtechnischen Dienstleister aufmerksam gemacht und geschrieben: „Die chronische Unterfinanzierung bringe viele Dienstleister in der Postproduktion zunehmend in eine existenzbedrohende Lage.“ Hat sich zum Ende des Jahres 2023 an dieser Situation etwas verändert?

Rohnke: Nein. Die Ergebnisse unserer Herbstumfrage bekräftigen die schwierige Lage der Dienstleister. So bezeichnen 42 Prozent ihre wirtschaftliche Situation als verbesserungswürdig und 40 Prozent als prekär. 82 Prozent der Unternehmen befinden sich in einem sehr schwierigen finanziellen Fahrwasser. Auch die Zukunftsaussichten mit Blick auf 2024 werden als problematisch bewertet. Zwei Drittel rechnet mit weiter sinkenden Renditen. 2022 haben noch 84 Prozent der Unternehmen einen Mangel an Fachkräften registriert, 2023 sind es nur noch 24 Prozent. Für 70 Prozent ist der Kostendruck der Auftragnehmer das größte Problem. Sowohl mit der Förderung von Film- und TV-Produktionen als auch mit der Realisierung von Produktionen der TV-Sender muss sich also schnell etwas ändern, wenn das Niveau und die Leistungsfähigkeit unserer Branche erhalten werden soll.

Peters: Seit dem Sommer dieses Jahres, ist es bei der „Theaterkunst“ zu einem Auftragsrückgang gekommen. Hintergrund für den Rückgang sind zum einen die Streiks in den USA gewesen, die Konsolidierung im Markt und das fehlende attraktive Steueranreizmodell in Deutschland, was u.a. auch zur Abwanderung von deutschen Projekten ins Ausland führt. Genau aus diesem Grund investieren wir in den letzten Jahren in Niederlassungen und Tochtergesellschaften im Ausland so in Polen, Österreich, Ungarn und n Deutschland mit Niederlassungen in Köln und Penzing. Deshalb hatten die Streiks der Drehbuchautoren und Schauspieler in Hollywood auch Einfluss auf unser Geschäft in den letzten Monaten. Natürlich hat sich auch die Absage deutscher Produktionen für u.a. Sky negativ auf den Verleih von Kostümen, vor allem für historische Produktionen, ausgewirkt. Auch wenn die Streiks in Hollywood vorbei sind, gibt es gegenwärtig kaum ein internationales Film- oder Serienprojekt, das in Deutschland entsteht.

medienpolitik.net: Nach verschiedenen Studien wurde in Deutschland 2022 so viel gedreht wie nie zuvor. Laut aktuellem Produzentenbericht hat allein die ARD im vergangenen Jahr fast 900 Millionen Euro – mehr als 2021- für Produktionen sowie für den Erwerb von Senderechten ausgegeben. Die Krise der Streamingplattformen und von Sky können doch nicht allein schuld an Ihrer schwierigen Situation sein?

Peters: Die Jahre 2021 und 2022 waren für unsere Branche Boomjahre. Aufgrund des gestiegenen Bedarfs hat auch die Theaterkunst, wie viele andere Dienstleister, in Technologie zur Steigerung der internen Prozesse, in Flächen und Personal investiert. Wir haben uns auf das wachsende Volumen an nationalen und internationalen Produktionen eingestellt und uns so aufgestellt, dass wir diese Projekte professionell begleiten können. Bis zum Juni 2023 resultierten 70 Prozent unseres Umsatzes aus internationalen Produktionen. Diese sind im zweiten Halbjahr ebenso wie größere deutsche historische Projekte, ausgeblieben.

Rohnke: Diese Melange verschiedener Probleme hat zu signifikanten Umsatzrückgängen bei den technischen Dienstleistern geführt. Neben dem Ausbleiben ausländischer Produktionen trifft uns besonders, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Serien zunehmend im Ausland produzieren. In den vergangenen Monaten wurden mindestens sechs Produktionen im Ausland realisiert, obwohl alle von den technischen und optischen Bedingungen, auch in Deutschland hätten gedreht werden können. Bei der „Barcelona“- Serie des ZDF, heißt es im Abspann: „Produziert mit Unterstützung von Steueranreizen für ausländische audiovisuelle Serienproduktionen“. 2024 wird sogar so dramatisch, dass selbst die Produzenten ein „Krisenjahr mit Stellenabbau und Pleiten erwarten“, wie der Presse zu entnehmen ist.

medienpolitik.net: Führt die technologische Entwicklung wie KI nicht generell zu einer Reduzierung des gegenständlichen Aufwandes (Weniger Dekobau, weniger Studios, weniger Dreh vor Ort, mehr Computeranimation)? Steht die Branche nicht damit vor einem Wandel, den auch alle anderen Industriezweige vollziehen müssen?

Rohnke: Diesen Wandel treiben unsere Unternehmen intensiv voran, weil neue Technologien mittelfristig Kosteneinsparungen ermöglichen und die Qualität verbessern können. Solche Investitionen, die teilweise im Millionen-Euro-Bereich liegen, amortisieren sich aber nur, wenn Nachfolgeprojekte kommen. Das Gegenteil passiert gegenwärtig: Das hochmoderne Virtual Production Set der Netflix-Serie „1899“ wurde nach dem Dreh abgebaut und wird nun im Ausland eingesetzt. Die Bavaria Studios haben zusammen mit weiteren Partnern in ein virtuelles Studio investiert, das nun wieder eingepackt wird. Ein anderes Mitgliedsunternehmen unterhält an drei Standorten virtuelle Sets und ist gegenwärtig auf der Suche nach Projekten, zum Beispiel aus den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Ähnlich ist die Lage bei der Postproduktion: Die Fülle an Daten erfordert große Investitionen in Speicher und Bearbeitungskapazitäten. Nur, diesen zusätzlichen Aufwand wollen die Kunden nicht bezahlen.

Peters: Auch die „Theaterkunst“ hat in den vergangenen zwei Jahren die gesamte Warenwirtschaft digitalisiert und für die Verwaltung wurden wichtige Prozesse automatisiert. Damals hatten wir im Jahr ca. 50.000 Blatt Papier verbraucht, heute arbeiten wir nahezu papierlos. Aber vor allem sind wir diesen Schritt gegangen, um für unsere Kunden einen Service zu schaffen, der sie während der Vorbereitungszeit und bei der Abwicklung von Projekten massiv unterstützt. Aber auch bei den Kostümen bereiten wir eine schrittweise Digitalisierung vor, um bei den technologischen Veränderungen mithalten zu können. Hier ist die Frage, wer die höheren Kosten trägt und bislang ist es uns noch nicht gelungen, z.B. für die Digitalisierung von filmhistorischen Kostümen Unterstützung zu erhalten.

medienpolitik.net: Zu den zusätzlichen Aufwendungen gehört seit einiger Zeit auch das „grüne Produzieren“…

Rohnke: Ja, diese Umstellungen in der Technologie verschlingt Millionen Euro. Allein der Ersatz bisheriger Diesel-Aggregate wird die Rentalhäuser 78 Millionen Euro kosten. Wir haben im vergangenen Jahr erstmals einen VTFF Green-Day zur Berlinale veranstaltet, eine Messe für „grünes“ Produzieren. Das soll im nächsten Jahr wiederholt werden. Die Kunden sind aber zögerlich, höhere Preise für den Einsatz grüner Technologien zu bezahlen. Wenn sich das verfestigt, wird es keine Investitionen in nachhaltige Technologien geben, dann macht ein Green-Day keinen Sinn.

Peters: Das tolle an einem Kostümfundus ist, dass unser Kerngeschäft an sich – nämlich Kostüme zu mieten, anstatt sie zu kaufen, nachhaltig ist. Zudem kommen angefertigte Kostüme zurück in den Fundus und somit in den Kreislauf für die weitere Nutzung. Aber natürlich müssen auch wir als Unternehmen uns an Vorgaben für das Green Producing halten, sprich Themen wie Verpackung, Energie und Reinigung müssen beachtet werden.

medienpolitik.net: Sie sagen, viele Produktionen von ARD und ZDF werden ins Ausland verlagert. Aber andere europäische Länder verzeichnen eine ähnliche Inflation wie Deutschland und Preissteigerungen für Energie und Rohstoffe.

Rohnke: Die Produzenten, die diese Serien für die ARD realisieren, profitieren unmittelbar von einer besseren Filmförderung als in Deutschland. So bietet Spanien einen Steuervorteil von 40 Prozent, andere Länder von 30 Prozent. Einen solchen Spareffekt gibt es in Deutschland nicht. Als beispielsweise die Bavaria den Auftrag für die Sky-Serie „Das Boot“ erhalten hatte, wurde die Serie zum größten Teil in Tschechien realisiert, da über die dortige Förderung Vorteile generiert wurden, die in Bayern nicht möglich waren. Die hauseigenen Dienstleister der Bavaria schauten in die Röhre.

Peters: An diesem Fördermodell ist vor allem der Automatismus attraktiv. Wenn die entsprechenden Kosten als sog. „local spent“ anerkannt werden, sind dem Produzenten je nach Produktionsland zwischen 25-40% sicher. In Deutschland dagegen ist der Förderfond an sich  gedeckelt und auch die Fördersumme. Das kann gerne schon mal bis zu 30 Mio.€ Unterschied bedeuten.  

Rohnke: Wir appellieren deshalb an die Verantwortung der öffentlich-rechtlichen Sender für den Produktionsstandort Deutschland. Nach unserer Auffassung sollte festgeschrieben werden, dass der jährliche Rundfunkbeitrag soweit wie möglich in Deutschland eingesetzt wird. Es wird künftig, das weiß auch unsere Branche, weniger, aber dafür besser ausgestatte Projekte geben. Das inländische Auftragsvolumen wird sich verringern. Darauf stellen wir uns ein. Eine Chance für den Produktionsstandort Deutschland liegt darin, mehr ausländische Produktionen zu akquirieren, als eine Art verlängerte Werkbank wie in Großbritannien. Aber natürlich nur, wenn die Förderbedingungen international wettbewerbsfähig ausgestattet werden, werden ausländische Produzenten wieder in Babelsberg und anderen Studios drehen.

medienpolitik.net: Stichwort Novellierung der Filmförderung. Wie bewerten Sie den aktuellen Stand?

Peters: Deutschland muss als internationaler Filmproduktionsstandort wieder wettbewerbsfähig werden. Würden wieder mehr internationale Produktionen hier drehen, würde es uns weniger tangieren, dass deutsche Produktionen im Ausland stattfinden, an denen wir mal nicht beteiligt wären. Aber so, wie es gegenwärtig ist, leiden die technischen Dienstleister doppelt.

Rohnke: Ein novelliertes Filmfördergesetz allein kann an dieser Situation wenig ändern. Es setzt den Rahmen für deutsche Produzenten. So soll zukünftig auf eine 100-prozentige Projektförderung umgestellt, die Zahl der geförderten Kinofilme reduziert werden und verstärkt der Erfolg im Kino für die FFA-Förderung relevant sein. Entscheidend für die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist jedoch die konkrete Ausgestaltung einer automatisierten, ungedeckelten Förderung. Hier sollen nach Ankündigungen der Kulturstaatsministerin anstelle der bisherigen gedeckelten Fonds zwei neue Instrumente treten: Das Tax-Incentive-Modell, also ein Steuersparmodell, wie in anderen Ländern und eine Investitionsverpflichtung von Plattformen und Sendern. Wenn diese neuen Förderungen nicht zusammen mit dem FFG am 1. Januar 2025 in Kraft treten, wird sich die Situation der technischen Dienstleister weiter verschlechtern.

medienpolitik.net: Sie fordern ein steuerbasiertes Anreizmodell nicht nur für Produzenten, sondern auch für die Dienstleister. Wenn die Produzenten besser gefördert werden profitieren Sie doch auch davon.

Rohnke: Ja klar, solange die heimischen Produktionsressourcen genutzt werden. Den technisch-kreativen Dienstleistern geht es aber darum, auch direkt internationale Projekte nach Deutschland zu holen. Das sichert die kontinuierliche Auslastung von Studios und Postproduktionshäusern, die Amortisation von Technologieinvestitionen und unsere hochqualifizierten Arbeitsplätze. Um die technischen Dienstleister zu stärken, ist deshalb die direkte Anwendung des Tax- Incentives-Modells unumgänglich.

medienpolitik.net: Noch liegt kein Entwurf für die Veränderung bei der Filmförderung in Verbindung mit einem Tax-Incentives-Modell und einer Plattformabgabe vor. Welche Konsequenzen hat das für Sie?

Rohnke: Das bedeutet, dass international nicht akquiriert werden kann, dass Produzenten neue Projekte zurückhalten oder nicht weiterentwickeln, weil sie nicht wissen wie sie sie finanzieren können. Die Kürzungen beim DFFF und GMPF sind ein weiteres schlechtes Signal zur Unzeit. Das Jahr 2024 wird ein noch wirtschaftlich schwierigeres Jahr werden als es 2023 war.

Peters: Wir folgen den Produktionen und damit unseren Kunden. Das fällt uns natürlich leichter als z.B. Studiobetreibern. Unsere ausländischen Tochterfirmen werden künftig maßgeblich am Erfolg der Theaterkunst beteiligt sein. Wir sind gegenwärtig an den Standorten vertreten, an denen international produziert wird und werden weiter in die Internationalisierung investieren.

 

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