Der Tag der Offenbarung

24. April 2023
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Bis zum 28.April müssen die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihren Finanzbedarf bei der KEF anmelden

Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

„Die Rundfunkanstalten haben für die Beitragsperiode … einen ungedeckten Finanzbedarf von insgesamt 3.035,4 Mio. Euro angemeldet. Davon entfällt auf die ARD ein Fehlbetrag von 1.868,6 Mio. Euro, das ZDF weist einen Fehlbetrag von 1.063,3 Mio. Euro aus, und das Deutschlandradio hat einen Fehlbetrag von 103,5 Mio. Euro angemeldet“, dieses Zitat stammt aus dem KEF-Bericht 2020 und bezieht sich auf die Bedarfsanmeldung für die Periode 2021-2024. Wie groß und realistisch der zusätzliche Bedarf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ab 2025 ist, wissen wir genau im Februar 2024, wenn die KEF ihren Bericht mit einem Vorschlag für die Beitragsperiode 2025-2028 vorstellt. Gegenwertig überschlagen sich sogenannte Insider mit Spekulationen über geplante Erhöhungen. Die Zahlen reichen von monatlichen Erhöhungen zwischen 1,64 Euro und 6,83 Euro. Es ist sicher richtig, dass es gegenwärtig keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten freiwillig auf eine Beitragsanpassung verzichten und mit den Einnahmen von 10 Milliarden Euro jährlich auskommen wollen, doch ob es zu einer Erhöhung kommt und wie hoch diese möglicherweise ausfallen könnte, entscheidet laut Bundesverfassungsgericht in erster Instanz die Gebührenkommission KEF.

Die ARD, hat mehrfach erklärt, dass sie die Digitalisierung weiter vorantreiben und die Produktion non-linearer Beiträge verstärken werde. Das Geld dafür soll durch Umschichtung, also durch Einsparungen an anderer Stelle erwirtschaftet werden. Nun meldete medieninsider.com, dass nach einem internen Arbeitspapier der ARD rund 330 Millionen Euro für Investitionen in die gemeinsame digitale Streamingplattform mit dem ZDF bei der KEF angemeldet werden sollen, als zusätzlicher Bedarf.

Dazu passt auch eine Erklärung des ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke auf einer Fachtagung in der Evangelischen Akademie Tutzing: „Die ARD will in den kommenden Jahren mehrere hundert Millionen Euro in die Entwicklung von Technologie investieren. Dabei geht es zunächst um den Ausbau des gemeinsamen Streamingnetzwerks mit dem ZDF.“ Abgesehen davon, dass es fraglich ist, ob diese Summe notwendig ist, schließlich entwickeln ARD und ZDF ihre Mediatheken seit über 20 Jahren, für sie typisch, unabhängig voneinander, und ob diese angeblichen Ausgaben nicht durch ein strengeres Kostenmanagement erwirtschaftet werden könnten, greift die ARD anscheinend einem Auftrag durch die Länder vor. Der Dritte Medienänderungsstaatsvertrag, der zum 1. Juli inkrafttreten soll, sieht für die Telemedienangebote lediglich eine gemeinsame Plattformstrategie vor, deren mögliche Konditionen jedoch nicht definiert werden. Ob ein künftiger Auftrag eine gemeinsame Plattform enthalten wird, ist nicht sicher. So heißt es bisher nur im Beschluss der Rundfunkkommission vom 20. Januar 2023: „Die Rundfunkkommission bewertet die bisher verfolgte gemeinsame Plattformstrategie nur als einen ersten Schritt. Mittelfristig muss die Weiterentwicklung zu einer gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Plattform unter Beibehaltung des publizistischen Wettbewerbs erfolgen.“ Im gleichen Beschluss steht übrigens auch: „Sie erwartet … erhöhte Anstrengungen der Anstalten und ihrer Gremien, um den bereits angestoßenen Reformprozess aktiv voranzutreiben und konstruktiv fortzusetzen.“

Seit Wochen wird der ARD-Vorsitzende nicht müde, in zahlreichen Interviews und öffentlichen Auftritten auf die Reformideen seines Senderverbundes hinzuweisen. Von Kompetenzzentren, einem Mantelprogramm für die Dritten, von einer Steuerungsgruppe, die die Reformen umsetzen soll und von gemeinsamen Pool-Lösungen für die Radio-Angebote ist die Rede. „Im Maschinenraum der ARD wird an der Zukunft des Journalismus gearbeitet“ heißt es in der Pressemeldung der ARD nach der Sitzung der Intendanten am 9. Februar. Und: „Die ARD stehe am Anfang des größten Veränderungsprozesses in der Geschichte des Senderverbunds“. Schade nur, dass sich dieses Füllhorn an Ideen und Plänen noch nicht in der Bedarfsanmeldung wiederfinden wird. Mitte Juni, so die Intendanten, sollen erste Ergebnisse vorliegen. Dann ist die KEF jedoch bereits am Rechnen. Es ist zum Beispiel nicht einmal sicher, ob alle neun Anstalten einem Mantelprogramm für die Dritten zustimmen werden und auch die Kompetenzzentren sind noch lange nicht in trockenen Tüchern. Unabhängig davon könnten die Anstalten aber bei der Anmeldung berücksichtigen, dass es bis 2030 eine natürliche Personalfluktuation in den Sendern, ZDF und Deutschlandradio eingeschlossen, geben wird, die zu Einsparungen in Millionen-Höhe führen könnte, wenn man sie als Chance für eine Verschlankung nutzen würde. Das wäre auch deutlich mehr als ein 0,5 prozentiger jährlicher Personalabbau, den die KEF erwartet.

„Die ARD wirft gegenwärtig viele Nebelkerzen, um von ihrer Bedarfsanmeldung abzulenken.“

Die ARD wirft gegenwärtig viele Nebelkerzen, um von ihrer Bedarfsanmeldung abzulenken. Von diesen Tricks lässt sich die Politik aber anscheinend nicht den Blick trüben. Laut einer Umfrage der „Welt“ halten bis jetzt sechs Ministerpräsidenten eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags ab 2025 nicht „für durchsetzungsfähig“ oder „nicht zeitgemäß“. Der erste war der Reiner Haseloff, Ministerpräsident aus Sachsen-Anhalt und Vorsitzender der CDU-Kommission zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ihm folgten inzwischen auch mehrere SPD-regierte Länder, zuletzt Niedersachsen. Auch aus Landtagen, nicht nur in Sachsen-Anhalt, ist von zunehmendem Widerstand gegen eine Anhebung der 18,36 Euro zu hören.

Mit Sorge hat sich Rainer Robra, Staatsminister und Chef der Staatskanzlei in Sachsen-Anhalt am 29. März zu den Berichten über die Anmeldung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geäußert. Er erinnerte daran, dass die KEF bei der letzten Anmeldung für die Beitragsperiode von 2021 bis 2024 die Anmeldung der Anstalten um rund 1,5 Milliarden Euro gekürzt hatte. Ein Vorgang, der sich nach Auffassung von Robra nicht wiederholen sollte. Es wäre deshalb nicht zu rechtfertigen, abermals einen Bedarf anzumelden, der ähnlich weit über dem damals von der KEF anerkannten läge, wie nach umlaufenden Hinweisen zu befürchten ist. Zuletzt ist zudem deutlich geworden, dass die Schätzung der Beitragseinnahmen damals viel zu gering war. „Die Anstalten sind also ganz offiziell überfinanziert.“ Für Robra bedeutet dies, dass Kostensteigerungen für notwendige Ausgaben „durch diese Mehrerträge zu stemmen sind“. Mit Blick auf die erforderliche Digitalisierungsstrategie in den Anstalten verwies Robra darauf, dass Investitionen ins Digitale „aus dem Bestand zu finanzieren“ seien. Eine Ausweitung des Digitalen sei nur durch Einsparungen an anderer Stelle möglich. „Jedes Unternehmen muss solche Investitionen durch Einsparungen an anderer Stelle gegenfinanzieren und es ist nicht vermittelbar, warum dies für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk anders sein sollte“, so der Medienminister aus Sachsen-Anhalt.

Sicher sind die Erklärungen aus den Ländern, den Beitrag stabil halten zu wollen, zunächst wohlfeile Absichtsbekundungen. Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht die Hürde für eine Ablehnung des KEF-Votums sehr hoch gesetzt, zudem muss sie einstimmig erfolgen. Sie sind aber ein Warnsignal an die Verantwortlichen in den Sendern, die kritischen Stimmen in der Bevölkerung und der Politik nicht zu überhören. Denn mit höheren monatlichen Ausgaben für die öffentlich-rechtlichen Anstalten würde deren Akzeptanz weiter sinken. Bis zum 28. April müssen ARD, ZDF und Deutschlandradio ihre Anmeldungen abgeben. Damit wird dieser Tag zu einer Offenbarung für die Glaubwürdigkeit der Reformagenden von Gniffke, Himmler und Raue. Wie auch vor vier Jahren wird es sicher in diesem Jahr weder aus Stuttgart, Mainz oder Bonn, konkrete Zahlen über den Umfang des „ungedeckten Finanzbedarfs“ geben. Man wird versuchen, es so lange wie möglich geheim zu halten. Doch warum? Wenn es wirklich einen erhöhten Bedarf geben sollte, kann man ihn doch auch öffentlich beziffern. Die selbst gepriesene „neue“ Transparenz sieht anders aus. Am 30.März sagte der Minister für Medien und Chef der Staatskanzlei NRW, Nathanael Liminski vor dem Landtag: „Die Landesregierung und er selbst halten die öffentlich-rechtlichen Sender für reformbedürftig, aber auch für reformfähig.“ Man wird Ende der Woche sehen, wie reformwillig sie sind. 

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