„Die Reformen dürfen zu keinen Belastungen für die private Seite führen“

03. Januar 2024
Start der Umfrage unter den Bundesländern zu den medienpolitischen Schwerpunkten für 2024

Antworten von Rudi Hoogvliet (B90/Die Grünen), Staatssekretär für Medienpolitik und Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund und Florian Graf (CDU), Chef der Berliner Senatskanzlei

Wie in den vergangenen Jahren hat medienpolitik.net auch 2024 alle für Medienpolitik Verantwortlichen in den sechzehn Bundesländern sowohl nach den medienpolitischen Schwerpunkten als auch nach der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks befragt. Die Antworten werden wir vollständig in den nächsten Tagen veröffentlichen. „Die Medienpolitik steht mittlerweile im Fokus der öffentlichen Debatte und der Gesetzgebung“. Diese Entwicklung werde 2024 weiter zunehmen, sagt Rudi Hoogvliet, Medienstaatssekretär aus Baden-Württemberg.  Zu den medienpolitischen Schwerpunkten werde die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Rundfunkbeitrag gehören. Dabei sei für Hoogvliet wichtig, die Folgen für die duale Rundfunkordnung mitzudenken. Für Florian Graf, Chef der Berliner Senatskanzlei, gehört neben der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Modernisierung der Filmförderung zu den Kernthemen des Landes Berlin. Dabei müssten die verschiedenen Interessen der Branchenakteure, die von Steuererleichterungen bei Filmproduktionen bis hin zu Investitionsverpflichtungen reichten, miteinander abgewogen und zueinander ins Verhältnis gesetzt werden – auch was die finanziellen Auswirkungen für die Länder betrifft.

Rudi Hoogvliet, Staatssekretär für Medienpolitik und Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund:

medienpolitik.net: Wo liegen für Ihre Landesregierung die medienpolitischen Schwerpunkte für 2024?

Hoogvliet: Das Jahr 2023 war von einer großen Dynamik im Bereich der medienpolitischen Gesetzgebung geprägt. Das zeigte sich auf nationaler Ebene nicht zuletzt mit der Ratifikation des 3. und 4. Medienänderungsstaatsvertrages. Auch auf europäischer Ebene waren zentrale Vorhaben, wie der Digital-Services-Act (DSA) und das Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFA) medienpolitisch geprägt. Das zeigt, wie sehr der Bereich der Medienpolitik mittlerweile im Fokus der öffentlichen Debatte und der Gesetzgebung steht.

Ich erwarte, dass im Jahr 2024 diese Entwicklung weiter zunimmt. So hat die MPK noch im Jahr 2023 den Entwurf des 5. Medienänderungsstaatsvertrages beschlossen, mit dem unter anderem der Medienstaatsvertrag an die Vorgaben des DSA angepasst werden soll. In einem weiteren Änderungsstaatsvertrag wollen wir eine umfassende Novelle des Jugendmedienschutzstaatsvertrages auf den Weg bringen. Neben wichtigen Neurungen im Bereich des technischen Jugendmedienschutzes auf Ebene der Betriebssysteme von mobilen Endgeräten, sollen die Befugnisse der Landesmedienanstalten so weiterentwickelt werden, um eine effektive und moderne Rechtsdurchsetzung bei Verstößen, auch gegen Anbieter mit Sitz im Ausland, sicherzustellen. Ich halte diese Reform für überfällig und notwendig, um die zentrale Aufsichtsfunktion der Landesmedienanstalten in diesem Bereich zu stärken. Insbesondere mit Blick auf Deutschland steht für mich außer Frage, dass eine effektive Aufsicht in Europa von den nationalen Strukturen lebt. Dies muss gerade auch die Kommission bei ihren weiteren Überlegungen immer im Blick behalten.

Im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gilt es im Jahr 2024 eine Vielzahl paralleler Themen zu einer guten und nachhaltigen Lösung zu verbinden. Sehr früh im Jahr wird der Zukunftsrat seinen Bericht zur langfristigen Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorlegen. Gleichzeitig arbeiten die Länder an weiteren Reformen, während auch die ARD angekündigt hat, ihre internen Reformpläne voranzutreiben. Zudem wird die KEF im Frühjahr 2024 ihren 24. Bericht vorlegen. Zur Verbindung dieser ganzen Stränge soll die KEF um Vorlage eines Sondergutachtens gebeten werden, das die finanziellen Implikationen der Reformen umfasst. Bei diesen ganzen Reformen ist es mir ein wichtiges Anliegen, die Folgen für die duale Rundfunkordnung stets mitzudenken. Nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter Druck. Der private Rundfunk und die Presse stehen vor großen Herausforderungen im Zuge der digitalen Transformation. Die anstehenden Reformen dürfen daher zu keinen weiteren Belastungen für die private Seite führen. Ich erhoffe mir zudem, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Presseverleger bei der Frage der Presseähnlichkeit der Online-Angebote zurück zu einem konstruktiven Dialog kommen.

Als eines - der den Südwestrundfunk (SWR) beauftragenden - Länder, wird für Baden-Württemberg zudem die Novelle des SWR-Staatsvertrages einen medienpolitischen Schwerpunkt im Jahr 2024 darstellen. Zentrale Ziele der Novelle sind für mich dabei eine Stärkung der Gremien und eine Effizienzsteigerung der Aufsicht. Daneben müssen die Strukturen innerhalb des SWR so modernisiert werden, damit diese den Anforderungen an ein modernes, digitales Medienhaus für den Südwesten gerecht werden. Gleichzeitig ist die Beauftragung des SWR an die Anforderungen der 2030er-Jahre anzupassen.

„Nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter Druck. Der private Rundfunk und die Presse stehen vor großen Herausforderungen im Zuge der digitalen Transformation.“

Rudi Hoogvliet

medienpolitik.net: Die Länder arbeiten intensiv an einem weiteren Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Welche Reformen müssten sich Ihrer Meinung nach unbedingt in einem solchen Medienänderungsstaatsvertrag wiederfinden?

Hoogvliet: Baden-Württemberg hat sich in der Debatte um rote Linien bei Reformen und der Zukunft des Rundfunkbeitrages bisher bewusst zurückgehalten. Das frühzeitige Ziehen solcher roter Linien verengt den politischen Gestaltungskorridor, erschwert schon früh im Verfahren den Weg für konstruktive Lösungen und zahlt letztlich nur auf die Seite derjenigen ein, die das Thema öffentlich-rechtlicher Rundfunk für ihren Populismus nutzbar machen wollen. Selbstverständlich aber habe ich klare Vorstellungen und Ziele was ein solcher Reformstaatsvertrag enthalten und leisten soll. Es steht für mich außer Frage, dass die Zukunft von ARD, ZDF und Deutschlandradio eine Zukunft von mehr Kooperation ist. Nur durch den Abbau von Doppelstrukturen im administrativen Bereich kann es gelingen Freiräume im programmlichen Bereich zu schaffen. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten müssen als moderne, effiziente Medienhäuser unverwechselbare Qualitätsangebote bereitstellen. Nur das schafft die zwingend notwendig Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Gleichzeitig brauchen wir eine nachhaltige Lösung der Beitragsfrage. Die einzigen, die von der Beitragsdebatte alle 4 Jahre profitieren sind diejenigen, die gerne die Axt an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk legen wollen. Insofern werbe ich für einen breiten, überparteilichen Konsens, dass es einer Änderung des bestehenden Beitragsfestsetzungsverfahrens braucht. Der Rundfunkbeitrag darf nicht weiter zum Spielball für wahlkampftaktische Manöver verkommen. Hier erwarte ich von allen Ländern, dass nicht frühzeitig rote Linien gezogen werden, sondern wir ein Gesamtreformpaket schnüren, die allen Seiten eine Zustimmung ermöglicht.

Florian Graf, Chef der Berliner Senatskanzlei:

medienpolitik.net: Wo liegen für Ihre Landesregierung die medienpolitischen Schwerpunkte für 2024?

Graf: Das Jahr 2024 wird von einer intensiven Diskussion zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geprägt sein. Dabei steht für den Berliner Senat die Stabilität des Rundfunkbeitrags im Vordergrund. ARD, ZDF und das Deutschlandradio müssen Synergien stärker nutzen, ihre Kooperationsmöglichkeiten verstärken und durch den Abbau von Doppelstrukturen signifikant zu Einsparungen beitragen. Die Medienpolitik muss auch den Programmauftrag kritisch in den Blick nehmen. Durch die Vielzahl der beauftragten Fernseh- und Hörfunksender entstehen hohe Kosten, denen zum Teil zur niedrige Einschaltquoten gegenüberstehen. Hier kann durch die Zusammenlegung von Angeboten eine Straffung des Programmbouquetserfolgen, ohne dass dies relevante Auswirkungen für die Zuschauer und Zuhörer hätte.

Filmpolitisch bietet das Jahr 2024 für die Berliner Medienpolitik ebenfalls einige Herausforderungen. Wir werden uns intensiv in die Neuausrichtung der Berlinale einbringen, die mit dem kommenden Doppelhaushalt 2024/25 erstmals mit jeweils 2 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt unterstützt wird. Zudem wird es – erstmals in Deutschland – eine Kinokulturförderung in Berlin geben. Hierfür stehen in den beiden kommenden Jahren 6 Millionen Euro bereit, um die vielfältige und breit aufgestellte Kinolandschaft in der Hauptstadt bei notwendigen technischen Investitionen und programmlichen Innovationen zu unterstützen. Hierzu wird ein mit den Akteuren abgestimmtes Förderkonzept erarbeitet. Eine Neuausrichtung wird auch die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) erfahren. Neben einem räumlichen Umzug steht eine inhaltliche Profilierung dieser traditionsreichen Einrichtung an. Die Europäische Filmakademie (EFA) wird – ebenfalls unterstützt durch den Berliner Landeshaushalt – im Januar 2024 ihre Arbeit am neuen Standort im Spreespeicher“ am Berliner Osthafen aufnehmen und sich weiterhin für die Vernetzung des europäischen Filmmarktes und der Filmfestivals einsetzen.

Ein weiterer Schwerpunkt der Medienpolitik wird die Reform der Filmförderung sein. Hierbei bringt sich das Land Berlin als Koordinator der Länderarbeitsgruppe Film stark ein und wird eine unter den Bundesländern abgestimmte Positionierung zur künftigen Ausrichtung der Filmförderung präsentieren. Dabei müssen die verschiedenen Interessen der Branchenakteure, die von Steuererleichterungen bei Filmproduktionen bis hin zu Investitionsverpflichtungen reichen, miteinander abgewogen und zueinander ins Verhältnis gesetzt werden – auch was die finanziellen Auswirkungen für die Länder betrifft. Für Berlin ist dabei klar, dass der Filmstandort ein bedeutender Wirtschaftszweig für die Hauptstadt ist und weiterhin wettbewerbsfähig bleiben muss.

„Es ist das Ziel des Berliner Senats, den Rundfunkbeitrag stabil zu halten und auf eine Beitragserhöhung zu verzichten.“ Florian Graf

medienpolitik.net: Die Länder arbeiten intensiv an einem weiteren Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Welche Reformen müssten sich Ihrer Meinung nach unbedingt in einem solchen Medienänderungsstaatsvertrag wiederfinden?

Graf: Die Reformen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedürfen der Einstimmigkeit aller 16 Bundesländer. Hierbei sind natürlich auch Standortinteressen im Spiel. Sobald Sender oder Einrichtungen verlagert oder geschlossen werden sollen, ist mindestens mit Kritik aus dem jeweiligen Bundesland zu rechnen. Daher wird es schwierig, hier zu deutlichen Veränderungen zu kommen, die von allen Beteiligten getragen werden. Nichts desto trotz arbeiten die Länder an gemeinsamen Reformvorschlägen, die vor allem auf eine stärkere Synergie bei Technik, Produktion und Verwaltung hinauslaufen, wo viele Doppelstrukturen vorhanden sind, die zugunsten einer Gemeinschaftseinrichtung von ARD und ZDF oder aller ARD-Anstalten abgebaut werden können. Entsprechende Vorgaben beim Programm zu machen, ist wegen der Staatsferne des Rundfunks deutlich schwieriger, obwohl auch verstärkte Kooperationen und ein intensivierter Programmaustausch zu signifikanten Einsparungen führen könnten. Am Ende müssen sich auch die Länder ehrlich machen, wenn es um Beitragsstabilität geht: Die KEF prüft den angemeldeten Bedarf der Sender auf der Grundlage der jeweiligen gesetzlichen Beauftragung. Was bestellt wird, muss auch bezahlt werden. Hier sind die Bundesländer gemeinsam gefordert, die Bedarfe so zu formulieren, dass sie nicht zu Kostensteigerungen führen. Dabei ist das Ziel des Berliner Senats, den Rundfunkbeitrag stabil zu halten und auf eine Beitragserhöhung zu verzichten.

 

 

 

 

 

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