Im Netz trifft man auf Menschen, die ihre anti-demokratischen Vorstellungen für Deutschland oder Europa verbreiten und erstaunlicherweise sogar Anhängerinnen und Anhänger dafür finden. Ob das mehr Menschen sind als früher, lässt sich wahrscheinlich gar nicht abschließend bewerten. Sie sind jedenfalls sehr laut und sehr sichtbar und beschäftigen uns intensiv. Die Hemmschwelle, menschenfeindliche Hassrede zu skandieren und online zu teilen, scheint zu sinken. Nicht zuletzt sorgte beispielsweise ein Party-Video aus Sylt, das junge Leute beim Singen rechtsradikaler und ausländerfeindlicher Parolen zeigte, für großen Aufruhr. Rückt das Netz nach rechts? Wie man anti-demokratische Bewegungen erkennt, welche Rolle sie in Deutschland spielen und welche Effekte ihre Kommunikationsstrategien haben, beleuchtet die aktuelle Ausgabe des Forschungsmonitors der Landesanstalt für Medien NRW
Interview mit Dr. Annett Heft, Leiterin der Forschungsgruppe „Dynamiken der digitalen Mobilisierung“ am Weizenbaum Institut für die vernetzte Gesellschaft, Berlin und der Freien Universität Berlin.
Was ist mit „anti-demokratischen Bewegungen“ eigentlich gemeint?
Heft: In meiner Arbeit spreche ich von anti-demokratischen Akteurinnen und Akteuren, wenn diese die Essenz der (liberalen) Demokratie rundheraus ablehnen oder zumindest zentrale Elemente wie die Gleichwertigkeit aller Menschen, politische Vielfalt und Chancengleichheit, den Schutz von Minderheiten oder die Legitimität demokratischer Verfahren und Institutionen ablehnen. Cas Mudde, der viel zu rechtsextremen und rechtsradikalen Parteien in Europa gearbeitet hat, macht anschaulich deutlich, dass die Übergänge zwischen radikalem und extremem Gedankengut in der Praxis fließend sind. Mit Blick auf Bewegungen trifft das ganz besonders zu: In Bewegungen kommen eine Vielzahl an Individuen, Gruppen und auch Organisationen auf Basis geteilter Werte und Identitäten zusammen, gleichwohl können sich Teile einer Bewegung durchaus in der Radikalität ihrer Orientierungen unterscheiden. Insofern handelt es sich bei der Rede von anti-demokratischen und demokratiefeindlichen Kräften immer auch um einen Sammelbegriff.
Weltweit wird das Erstarken anti-demokratischer Bewegungen kritisch diskutiert. Was ist Ihr Eindruck wie groß ist dieses Problem tatsächlich?
Heft: Aus meiner Sicht ist das eine sehr ernst zu nehmende Entwicklung und eine zentrale Herausforderung für moderne Demokratien und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das zeigt sich nicht nur an extremen Beispielen wie dem Terror des NSU oder den Anschlägen von Christchurch oder Halle, sondern viel alltäglicher in anti-migrantischen Mobilisierungen, in Hass und Gewalt gegen politisch Andersdenkende, besonders im lokalen Raum, oder auch in der Zunahme von Antisemitismus. Die letzte „Mitte“-Studie zu rechtsextremen und demokratiegefährdenden Einstellungen in Deutschland hat deutlich gemacht, dass es hier keineswegs um ein sogenanntes Randgruppenphänomen geht.
Welche Rolle spielen digitale Plattformen für die Verbreitung und Vernetzung anti-demokratischer Bewegungen?
Heft: Die grundlegenden Veränderungen öffentlicher Kommunikation und Meinungsbildung unter den Bedingungen von digitalen Plattformen und vernetzten Medien sind ein zentraler Aspekt: Die Möglichkeit, auf Webseiten und Social-Media-Plattformen Informationen unmittelbar zu verbreiten, hat zur Erosion der Rolle traditioneller Medien als Informationsintermediäre geführt. Stattdessen ermöglichen immer neue Kommunikationsplattformen auch antidemokratischen Akteurinnen und Akteuren, ihre Kommunikation und Mobilisierung in größerem Stil zu betreiben, stärker öffentlich sichtbar zu werden, ihre Ideologie zu popularisieren und diese auch in die Mitte der Gesellschaft hineinzutragen.
Was sind typische Kommunikationsstrategien, die anti-demokratische Bewegungen nutzen?
Heft: Eine wichtige Strategie besteht in dem Aufbau plattform- und akteursübergreifender Informationsökosysteme. Damit sind die Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen für die Verbreitung demokratiefeindlicher und anderer Inhalte wie beispielsweise das Netzwerk an Querdenken-Kanälen und Chatgruppen auf der Plattform Telegram gemeint. Telegram ist ein Messenger-Dienst, der sich in den letzten Jahren in Deutschland als zentrale Plattform für rechtsextreme, rechtspopulistische und anti-demokratische Akteure etabliert hat. Die Querdenken-Bewegung hat die Plattform intensiv für ihre Kommunikation und Mobilisierung genutzt. Dafür haben die Organisatorinnen und Organisatoren für einen standardisierten Aufbau regionaler Gruppen geworben, die dann nach einem einheitlichen System korrespondierende Telegram-Kanäle und Chatgruppen geschaffen haben. Diese wurden genutzt, um durch starke digitale Kommunikation untereinander gegenseitig die Sichtbarkeit der regionalen Mobilisierungsgruppen zu stärken. Gleichzeitig bestehen vielfältige digitale Referenzen zwischen zum Beispiel hyperparteiischen Onlinemedien, Influencerinnen und Influencern auf Plattformen wie YouTube oder TikTok und Bewegungsakteurinnen und -akteuren auf Telegram oder Facebook. Dieses Netzwerk wird zur gegenseitigen Verstärkung von Sichtbarkeit, zur Unterstützung von Positionen und zur vernetzten Verbreitung von Inhalten zielgerichtet bewegungs- und plattformübergreifend mobilisiert. Eine weitere Strategie zeigt sich in der bewussten Anpassung von Praktiken und organisatorischen Repertoires an das jeweilige Umfeld. In Bezug auf hyperparteiische Medien lässt sich beispielsweise beobachten, dass diese sich einerseits in ihren Praktiken an das journalistische System anpassen. Zumindest vorgeblich übernehmen sie journalistische Standards wie die Arbeit mit Quellenverweisen, um sich ein professionelles Erscheinungsbild zu geben. Gleichzeitig lehnen sie aber journalistische Normen wie Objektivität und Wahrhaftigkeit ab. Ähnliche Strategien der Normalisierung kann man bei Influencerinnen und Influencern beobachten: Hier wird über den Aufbau von Nahbarkeit und vermeintlicher Authentizität sowie die Vermischung unverfänglicher Lifestyle-Tipps mit ideologischen Positionen versucht, ebenjene Positionen an breitere Adressatinnen und Adressaten zu vermitteln.
Gibt es Themen, die sich anti-demokratische Bewegungen häufig zu eigen machen bzw. diskutieren?
Heft: Im Grunde lässt sich fast jedes Thema durch populistische, radikale oder extreme Akteurinnen und Akteure politisieren. Vielversprechend sind natürlich die Krisenthemen einer jeweiligen Zeit, im Moment Migration, der Klimawandel oder zuletzt die Corona-Pandemie.
Welche konkreten Maßnahmen durch Plattformen, Regulierungsbehörden oder Regierungen würden Sie sich wünschen, um anti-demokratischen Bewegungen entgegenwirken?
Heft: Die konsequente Durchsetzung der bestehenden Gesetze zur Verfolgung und Ahndung von Straftaten im digitalen Raum ist sicher ein wichtiger Schritt, der die Sichtbarkeit und Reichweite von Social-Media-Accounts einschränken und in bestimmten Fällen unterbinden kann, auch wenn klar ist, dass diese Inhalte auf alternativen Plattformen trotzdem weiterverbreiten werden. Programme zur Stärkung demokratischer Resilienz und digitaler Medienkompetenz sind gleichermaßen wichtig sowie die Unterstützung für Betroffene von digitalem Hass.
Ganz konkret: Was können Bürgerinnen und Bürger selbst tun, um anti-demokratischen Bewegungen entgegenzustehen?
Heft: Sie können den eigenen Umgang mit digitalen Quellen und Informationen kritisch hinterfragen: Um was für einen Akteur handelt es sich bei einem Social-Media-Account, welche Interessen stehen hinter den Inhalten, welche Qualitätskriterien gibt es, und – das ist besonders wichtig – sollte dieser Inhalt wirklich weiterverbreitet werden? Den Herausforderungen unserer Zeit muss natürlich nicht nur im digitalen Raum begegnet werden. Mitmenschlichkeit und Zivilität können von jeder Bürgerin und jedem Bürger im Alltag gelebt werden.
Das Interview stammt aus dem aktuellen Forschungsmonitor der Landesanstalt für Medien NRW
https://www.medienanstalt-nrw.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2024/default-a455c6a6ed/default-8ae3153c8164758c99b5658207373c89-1/rueckt-das-netz-nach-rechts-anti-demokratische-bewegungen-und-radikalisierung-in-den-sozialen-medien.html